Frankfurt Die drei führenden Hersteller von Covid-Impfstoffen steuern auch im laufenden Jahr auf Umsätze in zweistelliger Milliardenhöhe zu. Schon heute haben Pfizer/Biontech und Moderna Lieferaufträge im Volumen von zusammen rund 50 Milliarden Greenback für 2022 in den Büchern.
Dessen ungeachtet wächst die Unsicherheit, wie viel Potenzial das Covid-Impfstoffgeschäft längerfristig bieten wird. Die rapide Ausbreitung der Omikron-Variante und eher enttäuschende Analysen zur Wirkung von zusätzlichen Impfungen sorgen zusehends für Skepsis.
Die aktuell laufenden Booster-Impfungen und die mit eher milden Verläufen verbundene Omikron-Welle, so die Erwartungen, könnten für eine ausreichende Immunisierung der Bevölkerung sorgen und damit die Impfstoff-Nachfrage in den Folgejahren drastisch reduzieren.
Solche Einschätzungen lasteten zuletzt bereits spürbar auf den Börsenbewertungen der führenden Impfstoff-Firmen. Biontech und Moderna haben gegenüber ihren Höchstständen inzwischen rund zwei Drittel an Börsenwert verloren, Novavax sogar quick drei Viertel.
Mehrere Experten, darunter etwa auch der Leiter der EMA-Abteilung für biologische Gesundheitsbedrohungen und Impfstrategien, Marco Cavaleri, zeigten sich in jüngerer Zeit eher kritisch gegenüber der Idee, zügig weitere Booster-Impfungen zu verabreichen.
Die Virologie-Professorin Ulrike Protzer von der TU München und der Berliner Immunologe und Impfstoff-Forscher Erik Sander warnten zwar vor der Idee, eine Omikron-Infektion als Ersatz für eine dritte Impfung zu verstehen. Sie zeigten sich indessen auch zurückhaltend gegenüber einer zusätzlichen vierten Impfung. „Das ist jetzt nichts, was man der allgemeinen Bevölkerung empfehlen sollte. Ich glaube, mit drei Impfungen ist man tremendous geschützt“, sagte Sanders.
Vierte Impfung?
Erste Analysen aus Israel kamen vor wenigen Tagen zum Ergebnis, dass eine vierte Impfung den Antikörperspiegel nochmals etwas erhöht. Aber letztlich reicht sie wohl nicht aus, um Omikron-Infektionen komplett abzuwehren.
Auch die Prognosen von Marktbeobachtern sind inzwischen vorsichtiger als noch vor einigen Monaten. Die britische Analyse-Firma Airfinity etwa hat am Wochenende ihre Umsatzprognose für die fünf westlichen Hersteller mit zugelassenen Covid-Vakzinen gegenüber den bisherigen sehr hohen Schätzungen um rund ein Viertel auf zusammen intestine 80 Milliarden Greenback reduziert.
Das wäre immer noch ein enormes Umsatzvolumen im Vergleich zur Größe des Impfstoff-Marktes in der Zeit vor Corona und würde gegenüber 2021 noch einem Wachstum von mehr als 30 Prozent entsprechen. Zuvor hatte Airfinity den Impfstoff-Firmen, allen voran Biontech/Pfizer und Moderna, für 2022 allerdings noch Umsatzsteigerungen von mehr als 70 Prozent zugetraut.
Das britische Unternehmen begründet die Korrektur unter anderem damit, dass der milde Verlauf von Erkrankungen bei der Omikron-Variante letztlich zu einem geringeren Ordervolumen in den Industrieländern führen werde als bisher erwartet. Zudem seien die Preise in den Kontrakten mit einkommensschwachen Ländern reduziert.
Die bisherigen Prognosen der Unternehmen selbst und auch die Schätzungen der Bankanalysten sind noch deutlich vorsichtiger. Pfizer hat jüngst für den mit Biontech entwickelten Covid-Impfstoff Comirnaty eine Steering von 31 Milliarden Greenback Umsatz für 2022 publiziert, gegenüber 36 Milliarden Euro im abgelaufenen Jahr. Biontech nannte eine Spanne von 13 bis 17 Milliarden Euro. Das könnte ebenfalls auf einen Rückgang von mehr als zehn Prozent gegenüber dem für 2021 angekündigten Umsatz von 16 bis 17 Milliarden Euro hinauslaufen.
Der Biontech-Umsatz ergibt sich dabei überwiegend aus Lieferungen an Pfizer und aus Gewinnanteilen aus der Partnerschaft. Moderna stellt für 2022 bisher 18,5 Milliarden Greenback Umsatz in Aussicht, ein Plus von fünf Prozent gegenüber dem vergangenen Jahr.
Weitere Gespräche mit Regierungen
Allerdings basieren die Aussagen der Firmen und die Analystenschätzungen im Wesentlichen nur auf den bereits fest vereinbarten Lieferverträgen. Potenzielle weitere Vertragsabschlüsse sind dabei nicht oder nur in geringem Umfange einkalkuliert.
Sowohl Pfizer-Chef Albert Bourla als auch Moderna-Chef Stephane Bancel verwiesen zuletzt auf zahlreiche weitere Gespräche mit Regierungen. Sollte eine spezielle, an Omikron angepasste Impfstoff-Variante nötig werden, rechne man zudem mit zusätzlicher Nachfrage, erklärte Bourla jüngst auf der Gesundheitskonferenz von JP Morgan.
Auch ohne neue Impfstoff-Varianten und zusätzliche Booster-Impfungen ist der globale Vakzin-Bedarf vorerst noch riesig. Weltweit wurden bislang etwa elf Milliarden Dosen produziert und 9,8 Milliarden Dosen ausgeliefert, davon intestine sechs Milliarden Dosen von den westlichen Herstellern. Um die gesamte Weltbevölkerung mit drei Impfungen zu immunisieren, wären im Prinzip damit weitere elf bis zwölf Milliarden Dosen erforderlich.
Der Kreis der Impfstoff-Anbieter wird sich im laufenden Jahr erweitern, nachdem die US-Firma Novavax inzwischen Zulassungen von der EU-Kommission und der WHO erhalten hat. Darüber hinaus könnten – bei positivem Verlauf ihrer Studien und Zulassungsverfahren – unter Umständen auch der Pharmakonzern Sanofi und die ebenfalls in Frankreich beheimatete Biotechfirma Valneva in den Markt eintreten.
Andererseits dürften die chinesischen Anbieter Sinovac und Sinopharma angesichts der schwachen Wirksamkeit ihrer Impfstoffe worldwide kaum noch eine Rolle spielen. Anders als die westlichen Hersteller konnten sie seit September außerhalb Chinas praktisch keine neuen Kontrakte mehr abschließen. Davon wiederum dürften am ehesten Pfizer/Biontech und Moderna profitieren.
Die beiden mRNA-Impfstoff-Anbieter verfügen nach Einschätzung von Experten bislang auch über den größten Spielraum in der Produktion, während der Newcomer Novavax vorerst eher Mühe haben dürfte, seine Lieferverpflichtungen von zwei Milliarden Dosen zu erfüllen.
Vier Milliarden Impfdosen
Pfizer und Biontech haben für 2022 eine Kapazität von rund vier Milliarden Dosen angekündigt. Sie könnten damit ihre Auslieferungen gegenüber den bisher fest kontrahierten Mengen theoretisch noch in etwa verdoppeln. Das wiederum würde auf Umsätze von mehr als 60 Milliarden Greenback im laufenden Jahr hinauslaufen. Moderna stellt eine Produktion von zwei bis drei Milliarden Dosen in Aussicht, was bei vollem Absatz einem Umsatz von deutlich mehr als 40 Milliarden Greenback entsprechen würde. Bei beiden Anbietern tendierten die durchschnittlichen Abgabepreise zuletzt nach oben.
Noch unsicherer als die Schätzungen für 2022 sind unterdessen die Prognosen zum Impfstoff-Bedarf über 2022 hinaus. So bewegt sich die Bandbreite der Analysten-Schätzungen für den Umsatz von Moderna im Jahr 2023 laut Bloomberg zuletzt zwischen 5,4 und 20 Milliarden Greenback.
Das Volumen des künftigen Covid-Impfstoff-Marktes wird im Wesentlichen davon abhängen, in welcher Frequenz und für welchen Personenkreis zusätzliche Impfungen empfohlen werden. Sollte es zum Beispiel auf jährliche Booster-Impfungen hinauslaufen, errechnet sich nach Schätzung von Bloomberg-Analyst Sam Fazeli für die wohlhabenden Industriestaaten ein Impfstoff-Bedarf von 300 Millionen bis eine Milliarde Dosen jährlich, je nachdem, ob Booster nur für ältere Personen ab 60 Jahren oder für alle Erwachsenen empfohlen werden. Bei einem unterstellten Preis von 30 Greenback je Dosis errechnet sich daraus ein Marktvolumen von immer noch ansehnlichen neun bis 30 Milliarden Greenback.
Auch die Unternehmen demonstrieren Zuversicht, dass es sich um ein langfristiges Geschäft handelt. Pfizer etwa verwies jüngst darauf, dass man für 2023 bereits Aufträge im Volumen von mehr als 500 Millionen Dosen vereinbart hat. Alleine das dürfte dem US-Konzern und seinem deutschen Accomplice Biontech Umsätze von mehr als acht Milliarden Greenback garantieren.
Und auch mit Blick darüber hinaus zeigt sich Pfizer-Chef Albert Bourla extrem zuversichtlich. Die wahrscheinlichste Erwartung sei es letztlich, dass Regierungen jährliche Impfungen für relativ breite Bevölkerungskreise empfehlen würden. „Comirnaty bietet daher für Pfizer das Potenzial, ein langfristig nachhaltiges Geschäft zu werden, ob in einem pandemischen oder in einem endemischen Umfeld.“
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