Stuttgart Bertram Kandziora neigt generell nicht zu Überschwänglichkeit. „Die fünf Milliarden sind in greifbarer Nähe“, sagt der Stihl-Chef quick ohne Regung, taxiert sein Gegenüber und lächelt dann doch leicht verschmitzt. Die nüchtern vorgetragene Umsatzzahl ist eine Sensation.
Selten zuvor dürfte ein familienfremder Supervisor so einen fulminanten Schlussakkord gesetzt haben wie der 65-Jährige in den beiden Coronajahren zum Ende seiner Karriere. 2019 lag der Umsatz des Herstellers von Forst- und Gartengeräten noch bei 3,9 Milliarden Euro, 2020 waren es 4,5 Milliarden. Das entspricht 25 Prozent Wachstum innerhalb von nur 24 Monaten.
„Das warfare eine Teamleistung“, sagt Kandziora, allerdings mit ihm an entscheidender Place. Der Ingenieur hatte zu Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr die Produktion nicht etwa gedrosselt, sondern die Lager bis zur Dachkante gefüllt. Mit der Investition hatte Kandziora mutig darauf gesetzt, dass die Lieferfähigkeit zum ausschlaggebenden Erfolgsfaktor werden würde.
Er schaue sich die Zahlen genau an, sagt Kandziora, aber am Ende habe ihn „in dieser speziellen Scenario sein Bauchgefühl“ den Schritt machen lassen. Und das mit dem Mut relativiert er sofort: „Man muss es sich auch leisten können.“ Stihl hat eine Eigenkapitalquote von 70 Prozent. Zum Gewinn macht das Familienunternehmen generell keine Angaben.
High-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Die Umsatzrekorde hat Stihl erreicht, obwohl Rohstoffknappheit, fehlende Produktionskapazitäten bei Lieferanten und Stihl selbst sowie begrenzte Transportkapazitäten zu erheblichen Störungen in den Lieferketten führten.
Stihl arbeitet weiterhin mit Sonntagsschichten
Ohne diese Einschränkungen hätte Stihl eine Million mehr Motoren beziehungsweise Geräte verkaufen können – so groß ist immer noch der derzeitige Rückstand. Angesichts der Rekordzahlen ist das ein Luxusproblem. Die Schwaben arbeiten bis auf Weiteres mit Sonntagsschichten; rund 100 Millionen Euro wurden in zusätzliche Produktionskapazitäten investiert.
Seit dem Beginn der Pandemie boomt die Nachfrage nach Garten- und Forstgeräten, da die Menschen deutlich weniger reisen konnten und sich Projekten unter anderem in ihren Gärten zuwandten. Zudem blieben die im Freien arbeitenden Profikunden – Landschaftsbauer, Forstwirte und Straßenmeistereien – von Corona-Einschränkungen weitgehend verschont. Kandziora behielt recht: Die Nachfrage nach Garten- und Forstgeräten stieg zweistellig.
Der Supervisor hat sich zum Glücksgriff für die Familie Stihl erwiesen, nachdem der erste Versuch mit einem externen Supervisor nach wenigen Monaten gescheitert warfare. Der in Karlsruhe promovierte Ingenieur wechselte 2002 vom Autozulieferer Bosch zu Stihl nach Waiblingen. Nach dem Rückzug der Eigentümerfamilie führt er seit 2003 den Motorsägen- und Motorgerätehersteller.
In seiner Amtszeit hat sich der Umsatz insgesamt verdreifacht, die Zahl der Beschäftigten stieg von 7000 auf rund 20.000. „Ich freue mich, meinen Beitrag geleistet zu haben“, sagt Kandziora in aller Bescheidenheit in einem Unternehmen, in dem der persönlich haftende Gesellschafter Hans Peter Stihl mit 89 Jahren noch immer das allerletzte Wort hat und Sohn Nikolas Stihl als Beiratschef die Strategie festlegt.
Kandziora ist mit dieser Konstellation offensichtlich intestine klargekommen. Demut alleine reicht dabei nicht. „Werte und Vorgehensweise müssen zwischen Fremdmanager und Eigentümer passen. Dann entsteht Vertrauen“, sagt Kandziora. „Und das brauchen Sie bei schwierigen Entscheidungen.“ Zudem sei es wichtig, wie man mit Menschen umgeht.
Gewisse Dinge brauchen eben auch Zeit. „Mit dem Kopf durch die Wand geht es nicht“, resümiert der Stihl-Chef. Er ist allerdings auch nicht der Typ dazu. Faktenbasiert sind seine Entscheidungen nicht nur für den Eigentümer nachvollziehbar.
„Wir fliegen teilweise sogar Stahl in die USA“
Probleme gibt es aber auch bei dem schwäbischen Vorzeigeunternehmen, die unkonventionelles Vorgehen erfordern. So hat auch Stihl trotz großzügiger Lagerhaltung inzwischen mit erheblichen Engpässen zu kämpfen. Das betrifft beispielsweise Stahl, Kunststoffgranulat und Elektronikkomponenten.
Das führt zu früher undenkbaren Methoden. „Wir fliegen sogar teilweise Stahl in die USA“, sagt Kandziora. Gemeint ist der Bandstahl für die Herstellung der Führungsschienen, auf denen die Ketten der Sägen laufen. Auch für die Verteilung der Vergaser wurden schon Maschinen gechartert. „Wir haben in der Pandemie gelernt, dass die Länderrisiken größer als gedacht sind“, räumt der Stihl-Chef ein. „Klar ist, dass man tunlichst immer mindestens zwei Lieferanten für ein Teil haben sollte. Neu ist, die beiden sollten auch nicht aus einem Land kommen.“
Pandemiebedingt gab es auch Probleme bei der Batteriezellenversorgung. Auch das ist eine neuralgische Stelle, denn die Nachfrage nach den deutlich leiseren Akku-Geräten boomt. Inzwischen läuft jede fünfte Maschine mit Batterie, im kommenden Jahr soll es jedes vierte Gerät sein.
Was weniger bekannt ist: Stihl hat eine Sonderkonjunktur durch den ebenfalls pandemiebedingten E-Bike-Increase: In seinem Magnesium-Druckguss-Werk im rheinland-pfälzischen Weinsheim fertigt Stihl besonders leichte Gehäuseteile für E-Bike-Antriebe und beliefert damit Unternehmen in der Fahrradindustrie. Kandziora rechnet mit einer Steigerung des Auftragsvolumens. Die Kapazitäten wurden bereits ausgebaut.
Nachfolger Michael Traub kommt auch von Bosch
Dass Marktführer Bosch zu den Kunden gehört, ist in der Branche ein offenes Geheimnis. Trotz der Größenunterschiede sind beide Unternehmen freundschaftlich verbunden. Boschs Aufsichtsratschef Franz Fehrenbach sitzt auch im Beirat von Stihl. Auch Kandzioras Nachfolger Michael Traub, 52, kommt von Bosch Siemens Hausgeräte.
Dessen Leistung dort könne er sehr intestine beurteilen, betont Kandziora. Beide Supervisor kennen sich seit Längerem. Traub hat nicht nur umfangreiche Erfahrung im Führen großer Geschäftseinheiten auf verschiedenen Kontinenten, sondern auch in Produkt- und Vertriebsthemen, der IT, bei Good Options und in der Begin-up-Welt.
„Herr Traub passt perfekt in die neue Organisation“, sagt Kandziora, nachdem zwei der drei Monate Einarbeitungszeit nun vorbei sind. Der Neue kann sich dabei voll auf die Themen Strategie und Digitalisierung konzentrieren. Dagegen warfare Kandziora jahrelang auch für Produktion zuständig. Den Half hat seit Anfang 2020 Martin Schwarz als neues Vorstandsmitglied übernommen. Am 1. Februar 2022 ist die offizielle Amtsübergabe.
Kandziora wird allerdings einen klaren Schnitt machen und nicht in den Beirat wechseln. Mit Nikolas Stihl sitzt dem Gremium seit neun Jahren ein Familienmitglied mit langer operativer Erfahrung im Unternehmen vor.
Der scheidende Stihl-Chef will jedenfalls seine neue Freiheit genießen, am liebsten grenzenlos über den Wolken. Den Pilotenschein hat er im vergangenen Jahr am Stuttgarter Flughafen schon gemacht. Bisher durfte er nur auf Sicht fliegen. Jetzt soll die Lizenz zum Instrumentenflug dazukommen. Ein Indiz für künftige Reiseziele gibt es auch schon. Er lernt gerade Spanisch.
Mehr: Stihl holt erneut einen Ex-Bosch-Supervisor als Vorstandschef