Bahlsen ist eines der bekanntesten deutschen Familienunternehmen. Es besteht seit mehr als 130 Jahren. Doch die dunkelste Zeit der Firmengeschichte hat der Backwarenhersteller erst kürzlich versucht aufzuarbeiten.
Das Familienunternehmen Bahlsen, Hersteller des Leibniz-Kekses, verbarg lange seine Machenschaften während der Herrschaft der Nationalsozialisten. Erst nach einem Skandal im Jahr 2019 kündigte die Familie an, sich vollends mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Nun wurden die Ergebnisse einer Studie zur Firmengeschichte veröffentlicht.
Auslöser der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte waren Äußerungen von Firmenerbin Verena Bahlsen. Ihre Vorfahren hätten „Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt“, entgegnete sie 2019 Kritikern, die ihr vorwarfen, dass die Familie Bahlsen ihren Wohlstand der Ausbeutung von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs zu verdanken habe. Es folgte ein Shitstorm, Verena Bahlsen verließ zeitweise das Unternehmen.
Ihr Vater, Werner Michael Bahlsen, damals Chef des Keksherstellers, verkündete in der Folge die Aufarbeitung der Firmengeschichte durch unabhängige Historiker. Besonders die Verbindungen des Unternehmens in die Ukraine weckten damals das Interesse von Geschichtswissenschaftlern. Aus Archivunterlagen ging hervor, dass Arbeiter aus Kiew verschleppt und in Hannover zur Arbeit bei Bahlsen gezwungen worden waren.
„Ich bin schockiert. Das höre ich heute zum ersten Mal, und das ist eine Katastrophe. Das geschilderte Verbrechen macht mich sehr betroffen“, sagte Bahlsen daraufhin der „Bild am Sonntag“. Man habe seine moralische Verantwortung vergessen, kommentierte er die Informationen der Zeitung, wonach das Unternehmen in den Jahren 1999 und 2000 gegen Entschädigungsklagen ehemaliger Zwangsarbeiter kämpfte.
60 Entschädigungsklagen ehemaliger Zwangsarbeiter wurden im Jahr 2000 vom Landgericht Hannover abgewiesen. Heute beruft sich das Unternehmen auf Anfrage von t-online darauf, im Jahr 2000/2001 1,5 Mio. Deutsche Mark in den Stiftungsfonds „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ eingezahlt zu haben. Eine erste Aufarbeitung brachte damals allerdings weitere NS-Verbindungen ans Licht. Demnach waren die Brüder Hans, Klaus und Werner Bahlsen alle in das Naziregime verstrickt.
Zwar waren sie keine „Spitzenrepräsentanten der NSDAP, standen jedoch in Kontakt zu NSDAP-Funktionären“, hieß es in einem mittlerweile überarbeiteten Text auf der Website der Bahlsen-Familie. Die wirtschaftlichen Erfolge des Keksproduzenten während der NS-Zeit lassen jedoch auf tieferliegende Verbindungen schließen. So wurde Bahlsen während der Rohstoffknappheit zum „kriegswichtigen Betrieb“ ernannt und stellte Notverpflegung für deutsche Soldaten her.
Von Mai 1940 bis Kriegsende 1945 schufteten mehr als 800 Zwangsarbeiter aus Polen und der Ukraine in der Keksfabrik in Hannover, um die Produktion aufrechtzuerhalten, wie die neue Studie von Prof. Dr. Manfred Grieger und Prof. Dr. Hartmut Berghoff enthüllt. Zuvor war stets von mehr als 700 Zwangsarbeitern die Rede. „Diese Menschen mussten in betriebseigenen Lagern leben und waren entsprechend der rassistischen Hierarchisierung Benachteiligung ausgesetzt“, hieß es auf der Familien-Website. Auch in der Zweigstelle Gera seien ab 1943 Zwangsarbeiter ausgebeutet worden.
An dieser Stelle endet die Zusammenarbeit mit dem NS-Regime allerdings nicht. Neben den bestehenden Fabriken in Hannover und Gera übernahm Bahlsen 1942 in Kooperation mit der SS auch ein Kekswerk in der besetzten Ukraine. Dort kontrollierten zehn Bahlsen-Mitarbeiter aus Deutschland mehr als 2.150 Zwangsarbeiter. In der Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Studienergebnisse ist hiervon nichts zu lesen. Im Buch selbst soll diesem Abschnitt aber auch ein Kapitel gewidmet sein, wie Bahlsen auf Anfrage von t-online mitteilte. Ein Verschweigen der Ergebnisse liege dem Unternehmen fern.