Berlin Man hört kein lautes Klagen, nur ein leises Grummeln, doch der Ärger in Teilen der Wirtschaft über die Berufung der Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur Klimaschutzbeauftragten der Bundesregierung ist da. Im Ton diplomatisch, in der Sache unmissverständlich – so fällt das Echo aus.
Wolfgang Große Entrup etwa, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) wünscht Jennifer Morgan „extrem viel diplomatisches Geschick und Überzeugungsstärke“. Kampagnenstil werde in den schwierigen internationalen Verhandlungen nicht zum Erfolg führen, sagt Große Entrup in Anspielung auf Fotos, die die Greenpeace-Aktivistin Morgan auf Demos und in Schwimmweste vor Greenpeace-Schiffen zeigen.
Wer dagegen „mit Durchsetzungskraft und politischem Geschick den auch von uns geforderten globalen Klimaklub der Willigen voranbringen kann, um das Ziel Klimaneutralität nicht nur in Europa zu realisieren, könnte eine richtige Besetzung für diesen Job sein“, sagt Große Entrup. „Wir brauchen nämlich Mittäter. Alleingänge und Klimaschutz passen nicht zusammen“, ergänzt der VCI-Hauptgeschäftsführer.
Große Entrup rührt damit an den Kern des Issues, das Teile der Wirtschaft umtreibt: Die Unternehmen beklagen, dass Europa und speziell Deutschland mit immer neuen, immer ehrgeizigeren Klimaschutzzielen voranpreschen, ohne darauf zu achten, ob der Relaxation der Welt folgt.
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Morgan steht in ihren Augen dafür, diesen Kurs noch zu verstärken – koste es, was es wolle. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte die Berufung Morgans am Mittwoch als „Traumbesetzung“ gefeiert. Morgan werde als erfahrene Steuerfrau die deutsche Klima-Außenpolitik lenken.
Eine kompetente und intestine vernetzte Klimaexpertin
An Morgans fachlicher Qualifikation gibt es nichts zu kritteln. Die 55-jährige US-Amerikanerin, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hat, gilt als kompetente und worldwide intestine vernetzte Klimaexpertin. Nach Greenpeace-Angaben battle sie bei jeder internationalen Klimakonferenz seit der ersten 1995 in Berlin dabei. Sie hat unter anderem internationale Beziehungen studiert und für verschiedene Umweltorganisationen und Denkfabriken gearbeitet.
Die Sorgen der Wirtschaft kommen aber nicht von ungefähr. Tatsächlich hat sich die EU als erster Kontinent der Erde das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Deutschland legte Mitte vergangenen Jahres noch eins drauf. Die damalige Bundesregierung initiierte im Frühjahr eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes.
Demnach muss Deutschland als erstes und bislang einziges Land der Erde bereits 2045 klimaneutral werden. Für weite Teile der Industrie hat das immense Folgen. Um bis 2045 klimaneutral zu werden und die gesetzlich definierten Zwischenziele zu erreichen, müssen beispielsweise die Stahl- und die Chemieindustrie viele Prozesse auf wasserstoffbasierte Verfahren umstellen. Das erfordert hohe Investitionen und wird die Betriebskosten über Jahre deutlich steigern.
Das schmälert die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Ohne staatliche Hilfen werden sie kaum überleben können. Die neue Bundesregierung ist zwar grundsätzlich bereit, erhebliche Mittel einzusetzen.
Ob es aber gelingt, die Unternehmen vor außereuropäischen Wettbewerbern zu schützen, die keine vergleichbaren Klimaschutzanstrengungen leisten müssen, ist mit vielen Fragezeichen behaftet. Ein weiteres Voranpreschen Deutschlands ist aus Sicht vieler Unternehmer daher nicht vertretbar.
Die Schaffung vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen ist auch nach Überzeugung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) eine zentraler Aufgabe der künftigen Klimaschutzbeauftragten.
„Unsere Erwartung ist, dass es Jennifer Morgan mit ihrer großen Erfahrung und umfassenden Vernetzung gelingt, rasch für einheitlichere Ambitionen im globalen Klimaschutz zu sorgen. Je schneller wir im internationalen Vergleich ein ,degree enjoying discipline‘ erreichen, desto besser ist es für den Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie“, sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI. „Das ist für uns das entscheidende Kriterium, daran werden wir Jennifer Morgan messen“, ergänzte er.
Einige Supervisor werden deutlicher, wollen aber nicht genannt werden. Die Berufung Morgans sei „Lobbyismus reinsten Wassers“, sagte einer. Es sei nicht lange her, dass die Grünen-Spitze die Klimaschutzverbände während der Koalitionsverhandlungen um Hilfe gebeten habe, damit diese Druck auf SPD und FDP ausübten.
Nun halte es die Grünen-Spitze für richtig, sich zu bedanken. Es sei ein schlechtes Sign, dass Baerbock dem Private in ihrem eigenen Haus und im Umweltministerium nicht zutraue, Deutschland angemessen bei internationalen Klimaschutzverhandlungen zu vertreten.
Mehr: BASF-Chef lehnt staatlichen Schutzschild in Klimaschutzdebatte ab.