Die CDU will deutschlandweit ihr neues Grundsatzprogramm diskutieren. Gerade im Osten muss Merz es schaffen, die Menschen zu überzeugen. Gelingt das mit einem Besuch in Chemnitz?
Als Friedrich Merz auf der Leinwand erscheint, wird es in der Kongresshalle in Chemnitz dunkel. Dramatische Musik dröhnt aus den Boxen. Im Publikum kehrt Ruhe ein. Der Image-Film, der nun zu sehen ist, zeigt keinen CDU-Vorsitzenden, er zeigt einen Staatsmann. Merz bei Gesprächen mit internationalen Partnern. Merz mit schusssicherer Weste im Krisengebiet. Merz auf dem Weg in den Regierungsflieger.
Für einen kurzen Moment sieht es aus, als wäre der Mann aus dem Sauerland schon Kanzler.
Dann geht das Licht wieder an und der Mann, der gerade noch groß auf der Leinwand zu sehen war, tritt auf die Bühne. „Ich habe mich auf diesen Abend besonders gefreut“, sagt Merz. „Weil ich weiß, dass wir bei Ihnen die meiste Überzeugungsarbeit noch leisten müssen.“
Wichtiger Abend in Chemnitz – kann Merz überzeugen?
Die CDU diskutiert aktuell deutschlandweit ihr Grundsatzprogramm. Nachdem die Parteispitze vor einem Jahr Impulse gesammelt hat und dafür durch Deutschland gereist ist, reist sie nun wieder zur Basis. Diesmal um Ergebnisse zu präsentieren. An diesem Abend in Chemnitz. 400 Menschen haben sich angemeldet. CDU-Mitglieder. Und Gäste. Überzeugte. Und enttäuschte.
Für Merz ist es ein wichtiger Termin, vielleicht ist er sogar entscheidend. Schließlich wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst gewählt. Zumal das CDU-Ergebnis dort auch wichtig sein dürfte, wenn es in der Partei um die Frage der Kanzlerkandidatur geht. Und bis auf einen Termin in Berlin, ist der Abend in Chemnitz die einzige Regionalkonferenz im Osten. Es ist also die einzige Möglichkeit, sich zu dem neuen Programm mit der Basis dort auszutauschen. Merz weiß das. Er weiß, wie wichtig sein Auftritt hier ist. Dass er den Menschen das Gefühl vermitteln muss, sie würden gehört – und eingebunden. In der Vergangenheit ist das nicht immer gelungen.
Reicht ein Abend in Chemnitz, um das zu ändern?
Kritik am Verbrenneraus und am Gendern – geht immer
Der Druck, im Osten zu überzeugen, ist jedenfalls hoch. Besonders der Kampf gegen die AfD dürfte bei der bevorstehenden Wahl ein schwerer werden. Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen und Brandenburg ist die in weiten Teilen rechtsextreme Partei stärkste Kraft. Die CDU-Spitze beschäftigt das. Ihre größte Sorge? Die AfD könnte so stark werden, dass es nicht mehr gelingt, eine Mehrheit ohne sie zu bilden.
Auch unter den Zuschauerinnen und Zuschauern in Chemnitz sind die Erwartungen hoch. „Ich will wissen, wofür die CDU steht“, sagt eine Frau im Publikum. Sie sei bislang noch unentschlossen, wen sie im Herbst wählen werde. Ein anderer will hören, welche Rolle die Ostverbände in der Partei künftig spielen werden. Das Ostkapitel habe die Partei ja nun im Grundsatzprogramm gestrichen.
Das Vorprogramm zum CDU-Vorsitzenden ist eine Mischung aus Frontbeschallung und Zuschauer-Impulsen. Es geht um soziale Sicherheit, um Freiheit und – natürlich – um Migration. Die CDU sei gegen das Verbrenneraus, sagt Generalsekretär Carsten Linnemann. Applaus. Die CDU halte nichts vom Gendern, ergänzt Mario Voigt kurze Zeit später. Noch größerer Applaus. Und wer nach Deutschland komme, müsse deutsche Werte teilen, fügt Gitta Connemann an. Da gibt es sogar richtige Jubelrufe.
Die Erwartungshaltung im Saal ist klar. Sie ist klar konservativ.
„Die Freiheit zu sagen, was man denkt“
Merz weiß auch das und geht darauf ein. Gleich zu Beginn seiner Rede fragt er die Menge: „Wie wollen wir in den nächsten Jahren in Deutschland in Freiheit leben?“ Ruhe.
Merz fährt fort. Freiheit sei nicht nur die äußerliche, die territoriale Freiheit. Es sei vielmehr die Redefreiheit, die Meinungsfreiheit oder die Religionsfreiheit, so Merz. Und dabei müsse die Gesellschaft sich wieder sehr viel stärker bewusst machen: „Die Freiheit zu sagen, was man denkt. Die Freiheit auch anders zu denken als vielleicht die Mehrheit.“ Diese Freiheit sei eine der wesentlichen Grundlagen der demokratischen Ordnung. Und: „Wenn Menschen in einer Demokratie nicht mehr den Mut haben, etwas zu sagen, weil sie befürchten müssen, dass eine Mehrheit oder eine vermeintliche Mehrheit oder vielleicht diejenigen, die sich auf Social Media da tummeln, dies sofort in eine bestimmte politische Ecke rücken, in die rechte Ecke.“ Dann sei nicht nur die Freiheit, sondern auch die Demokratie bedroht, sagt Merz.