Berlin Einen herzlichen Empfang für die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Polen kann man das nicht nennen. Auf zahlreichen Plakaten stehen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier in einer Reihe mit Adolf Hitler und Joseph Goebbels.
Der Textual content dazu: „Können sich die deutschen Verantwortlichen, die so interessiert sind an der Rechtsstaatlichkeit in anderen Ländern, endlich mit Deutschlands skandalöser Rechtlosigkeit auseinandersetzen und Polen Reparationen für die Schäden und Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges zahlen?“
Da ist er wieder, der Verweis auf das „Dritte Reich“ der Nazis, den die regierende national-populistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), immer wieder bemüht. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski spricht schon vom Aufbau eines „Vierten Reichs“ – je mehr die PiS in den Umfragen fällt, desto schriller werden die Forderungen und Anwürfe.
Auch Baerbock wird mit dieser Haltung konfrontiert: Er erwarte, dass die neue deutsche Regierung bereit sei, über das Thema Reparationen zu sprechen, sagte Polens Außenminister Zbigniew Rau nach seinem ersten Treffen mit Baerbock am Freitag in Warschau.
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Baerbock hatte da schon einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten niedergelegt. Hitler-Deutschland hatte Polen überfallen und Millionen Menschen ermordet, auf dem besetzten polnischen Gebiet den Großteil seiner Vernichtungslager errichtet.
Baerbock setzt auf das Prinzip Hoffnung
Doch bei allem Nachwirken der Vergangenheit, die Gegenwart beherrscht den Besuch der ersten Chefin des Auswärtigen Amtes. Und das ist der Dauerkonflikt zwischen Polen und den EU-Institutionen um die Einhaltung der Bürgerrechte im Mitgliedstaat Polen. Die EU dringt vor allem auf die Unabhängigkeit der Justiz in Polen.
Baerbock blieb diplomatisch – indem sie im Gegensatz zur bisherigen grünen Parteilinie auf die Haltung der abgetretenen Kanzlerin Angela Merkel setzte: Wenn die Diskrepanzen wie beim Thema der Werte der Europäischen Union sehr groß seien, „gilt es aber umso mehr, zu diesen Themen ganz intensiv im Gespräch zu sein“, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag nach ihrem Treffen mit Rau in Warschau.
Bisher hatten vor allem Grüne und SPD im Europaparlament auf ein Zurückhalten der EU-Fördergelder gedrängt, wenn Empfängerstaaten – wie Polen und Ungarn – Bürgerrechte, Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz einschränken. Merkel hatte bis zuletzt vor einer Eskalation gewarnt und auf eine Verhandlungslösung gesetzt.
Sie wolle nun bilateral und auf europäischer Ebene nach einer Lösung suchen, sagte Baerbock in Warschau. Und dann entgegnete sie auf die Frage, ob sie nach ihren Gesprächen in Warschau die Hoffnung habe, dass es im Rechtsstaatsstreit ein Einlenken Polens geben könne: „Insbesondere in der Außenpolitik und in der Diplomatie braucht man nicht nur ein bisschen diplomatisches Glück, sondern immer auch Hoffnung.“
Die bilateralen Beziehungen sind geprägt durch Ambivalenz
Eingeknickt ist Baerbock in Warschau indes nicht: Sie habe das Thema Werte und Bürgerrechte bei ihren Treffen angesprochen, betonte die neue deutsche Chefdiplomatin. „Das macht starke Freundschaften aus, auch wenn es unbequem ist“, sagte Baerbock, die nach Paris und Brüssel nun Warschau besuchte – und am Wochenende in Liverpool mit den Außenministern der sieben größten Industriestaaten (G7) zusammentrifft.
Das Verhältnis zur grünen Außenministerin ist vor allem in Warschau ambivalent: Während die PiS-Regierung sich in Fragen der Rechtsstaatlichkeit unter Druck fühlt, verbindet parteiübergreifend vor allem die polnische Opposition Hoffnung mit der kritischen Haltung der Grünen. Die Opposition braucht den Druck aus Brüssel und Berlin, um die härtesten antidemokratischen Reformen der PiS in Polen zurückzudrängen. „Gerade bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten können wir nicht zulassen, dass Europas Fundamente wegbröckeln“, betonte Baerbock.
Dazu passt auch, dass Baerbock – im Gegensatz zu ihren Vorgängern Heiko Maas und Sigmar Gabriel (beide SPD) schon bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau neben Außenminister Rau und Präsident Andrzej Duda auch den Ombudsmann Marcin Wiącek trifft. Der Ombudsmann ist Anlaufstelle für die mit der Arbeit der Behörden unzufriedenen Polinnen und Polen. Polen ringt hart mit der EU um die Einhaltung europäischer Werte und Bürgerrechte sowie um die umstrittene polnische Justizreform.
Streit droht über die weitere Rolle der EU
Regierung und Opposition in Warschau teilen allerdings mit der neuen deutschen Regierungspartei eine harte Haltung gegenüber Russland und der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2. Diplomatisch geschickt hatte Baerbock auch vor ihrer Ankunft an der Weichsel bereits in ihrer Rede zur Übernahme der Amtsgeschäfte im Auswärtigen Amt die Rolle Deutschlands und Berlins im Verhältnis zu den kleineren EU-Mitgliedern unterstrichen: „Wir werden unsere Vorstellungen und Interessen nicht über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg verfolgen, und schon gar nicht auf deren Kosten.“
Doch die PiS-Regierung bleibt skeptisch angesichts des Regierungswechsels in Berlin. Denn SPD, Grüne und FDP möchten, dass die EU die Type eines europäischen Bundesstaats annimmt. Dieses Postulat ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Polens Regierung dagegen will die EU als Verbund weitgehend eigenständiger Nationalstaaten. Wichtig ist für Warschau allein der Binnenmarkt. Polens Wirtschaft ist eine besondere Erfolgsgeschichte der EU – auch dank des Binnenmarktes.
Am Sonntag kommt der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Warschau zu seinem Antrittsbesuch – auch er reist zuvor nach Paris und Brüssel. Von Scholz fordert Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bereits das Aus für Nord Stream 2.
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