Berlin Der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, hält die Pläne der Bundesregierung für neue Handelsabkommen für mangelhaft. Das Bekenntnis zum Freihandel im Koalitionsvertrag sei zwar ein gutes Zeichen. „Aber bei allen Handelsabkommen soziale und ethische Requirements zur Voraussetzung zu machen ist nicht der richtige Schluss“, sagte er im Interview mit dem Handelsblatt.
Die Abkommen dürften nicht dazu genutzt werden, die eigenen Werte überall hintragen zu wollen. „Ich hoffe insbesondere, dass der neue Wirtschafts- und damit auch Handelsminister Robert Habeck seine Grünen von dieser Linie wird überzeugen können“, erklärte Jandura. Ein neues Abkommen mit den USA ist nach Ansicht des Außenhandelspräsidenten denkbar. Der Umfang an betroffenen Bereichen müsse aber deutlich reduziert werden.
Mit Blick auf den Mangel an Materialien in mittlerweile fast allen Bereichen der Wirtschaft rechnet Jandura erst Mitte des nächsten Jahres mit einer Besserung. Und auch langfristig werde sich etwas ändern. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass es zumindest teilweise eine erhöhte Lagerhaltung geben wird“, sagte Jandura. Das werde höhere Kosten und damit höhere Preise bedeuten.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Jandura, die Furcht vor der Omikron-Variante geht um. Welche Gefahr birgt das für den Außenhandel?
Die Omikron-Variante des Coronavirus kann eine neue Gefahr darstellen. Aber genau wissen wir das noch überhaupt nicht. Ich halte daher nichts davon, Reisen einzuschränken, wie es teilweise auch schon in Deutschland gemacht wird. Es kann nicht sein, dass die Regierungen weltweit versuchen, die Materialengpässe in der Wirtschaft zu beheben, aber gleichzeitig die Händler vom Reisen abhalten. Das sind schließlich keine Vergnügungsreisen.
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Und kann es den Handel selbst betreffen?
Absolut, vor allem solange die gesundheitliche Gefahr durch das Virus weiter ungewiss ist. Wir haben das in der Vergangenheit erlebt, wie schnell es zu dramatischen Auswirkungen kommen kann – insbesondere in China. Im wichtigen Hafen von Ningbo etwa hat ein einziger Coronafall zu einer Teilschließung geführt.
Die seit Monaten anhaltenden Probleme in den Lieferketten belasten ohnehin. Wie lange wird das aus Ihrer Sicht noch so bleiben?
Ich vermute bis Mitte des nächsten Jahres. Schneller kann und wird es nicht funktionieren. Es zeigt sich immer deutlicher: Die Pandemie hält Staaten zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlicher Intensität fest. Daraus entsteht ein aufschaukelnder Effekt, den die internationale Logistik nicht von heute auf morgen kompensieren kann. Der Markt braucht seine Zeit.
Conflict es ein Fehler der Wirtschaft, in der Vergangenheit kaum auf Lagerhaltung zu setzen und immer „auf Kante“ zu produzieren?
Rückblickend ist das sicherlich so. Eine komplette Neuausrichtung der Wirtschaft dahingehend halte ich aber nicht für richtig. Der Wohlstand, den wir uns aufgebaut haben, ist vor allem aus effizientem Wirtschaften entstanden. Vorratshaltungen, wie wir sie für die Abfederung einer Krise wie der Coronapandemie gebraucht hätten, wären in vielen Teilen der Wirtschaft ohnehin nicht realistisch gewesen.
Was wird sich dahingehend nun ändern?
Das ist noch nicht klar. In meinem Handelsbetrieb fragen wir uns, ob wir aktuell eine echt hohe Nachfrage bedienen oder die Kunden zu hamstern begonnen haben. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass es zumindest teilweise eine erhöhte Lagerhaltung geben wird. Das wird auch höhere Kosten und damit höhere Preise bedeuten.
Die Kritik an Deutschlands Abhängigkeit vom Export ist in den vergangenen Jahren ziemlich verstummt. Aber zeigt sich jetzt nicht, dass dieses Modell überholt ist?
Nein, gerade jetzt braucht das Land seine Exportwirtschaft wie nie zuvor. Deutschland ohne Außenhandel ist wie ein Wald ohne Bäume. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Export ab. Wir können damit nicht einfach aufhören.
Kommt das Exportmodell in den kommenden Jahren nicht von ganz allein auf den Prüfstand? China koppelt sich immer weiter ab. Auch die Beziehungen zu den USA sind weiter angespannt.
Zum Teil, auf uns kommt eine Deglobalisierung zu. Die USA sind unter Joe Biden zwar freundlicher im Ton als unter Donald Trump, aber in der Sache nicht weniger hart. China verfolgt seine eigenen Ziele und Ambitionen. Die internationalen Spannungen werden wir so schnell nicht los, und das sind keine guten Voraussetzungen, um mit beiden Seiten Handel zu treiben. Wir können aber auf den Außenhandel nicht verzichten – und müssen diese Herausforderungen deshalb angehen.
Wie?
Die neue Bundesregierung muss darauf dringen, dass sich die EU wieder mehr dafür einsetzt, den Freihandel zu stärken. Europa muss mit einer gemeinsamen Stimme sprechen. Deutschland allein kann gegenüber China und den USA nichts ausrichten.
Haben Sie mit Blick auf den Koalitionsvertrag die Hoffnung, dass das passiert?
Das Bekenntnis zum Freihandel im Koalitionsvertrag ist ein gutes Zeichen. Aber bei allen Handelsabkommen soziale und ethische Requirements zur Voraussetzung zu machen ist nicht der richtige Schluss. Wir sollten die Abkommen nicht dafür nutzen, unsere Werte überall hintragen zu wollen. Bei Handelsabkommen sollte es primär um den Handel gehen. Ich hoffe insbesondere, dass der neue Wirtschafts- und damit auch Handelsminister Robert Habeck seine Grünen von dieser Linie wird überzeugen können. An Habeck liegt mitunter die Zukunft des Freihandels.
Sie würden additionally das Mercosur-Abkommen mit Südamerika unterschreiben und den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro weiter den Regenwald abbrennen lassen?
Natürlich ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema, und es macht mich traurig, was da in Brasilien passiert. Das Mercosur-Abkommen würde dort aber erstmals eine Foundation für die Durchsetzung von Umwelt- und Sozialstandards schaffen. Aber wir müssen auch realistisch bleiben: Wir können mit Handelsabkommen nicht einfach alle Probleme in anderen Ländern erschlagen. Da geht es um Handel, und alles andere muss die Regierung auf anderen Wegen lösen. Wenn sich die Handelsbeziehungen erst einmal verfestigt haben, kann das übrigens auch zu besseren Bedingungen im Partnerland führen.
„Wandel durch Handel“ hat die Wirtschaft dieses Credo schon vor Jahren getauft. Zeigt aber das Beispiel China nicht längst, dass das überholt ist? Wir handeln enorm viel mit China, an der Missachtung von Menschenrechten dort hat das nichts geändert.
Das sehe ich nicht so. Dieser Wandel braucht einfach unheimlich viel Zeit. Und bei China schauen wir immer nur auf die Staatsführung. Die Veränderung geht dort aber bei den Menschen im Kopf vonstatten. Das ist keine Frage von Jahren, sondern von Jahrzehnten. Und je mehr wir miteinander handeln, desto geringer ist auch das Risiko von Auseinandersetzungen.
Im Koalitionsvertrag hält die Ampel auch fest, wieder Gespräche mit den USA zum Freihandel zu suchen. Halten Sie eine Neuauflage des Freihandelsabkommens TTIP für realistisch?
Es wäre enorm wichtig, die Gespräche wieder aufzunehmen – wenn auch unter einem anderen Namen, TTIP ist als Begriff verbrannt. Die Formulierungen im Koalitionsvertrag dazu sind aber sehr vage.
Was gilt es zu beachten, wenn die Pläne nun konkreter werden?
Der Bereich, den ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA regelt, müsste deutlich reduziert werden. Die Verantwortlichen hatten beim letzten Mal versucht, zu viele kontroverse Themen unter einen Hut zu bekommen. An dieser Breite ist TTIP gescheitert. Jetzt sollte das Motto lauten: Weniger ist mehr.