Die Grünen scheinen im Herbst 2024 ebenso am Ende zu sein wie die FDP. Wären beide an der Börse gelistet, würde man jetzt eine grüne Aktie und eine FDP-Aktie kaufen.
Kaufe das Gerücht und verkaufe den Fakt. Dieses geflügelte Wort ist so ziemlich die erste Regel, die einem als Börsianer in Fleisch und Blut gehen sollte. Wer noch nicht an der Börse aktiv ist, kann sich das mithilfe der Politik verdeutlichen. Die Grünen scheinen im Herbst 2024 ebenso am Ende zu sein wie die FDP. Beide sind auf ihre absolute Kernklientel reduziert worden.
Wäre jetzt Bundestagswahl, würde das für die FDP einen Rauswurf aus dem Bundestag bedeuten und bei den Grünen einen Rutsch unter 10 Prozent. So sehen die Fakten aus. Als Börsianer würde man sagen, dass diese miesen Umfragen nun aber eingepreist sind. Wer antizyklisch unterwegs ist, würde jetzt eine Grünen-Aktie und eine FDP-Aktie kaufen. Denn was soll bei der FDP noch schlechter werden? Natürlich könnten beide weiter sinken, doch das Chance-Risiko-Verhältnis scheint gut zu sein. Abgeleitet zur Politik kann man dann auf die Börse umschwenken.
Denn einerseits notieren deutsche Aktien wie SAP oder Allianz auf oder nahe ihres Rekordhochs. Andererseits hängen viele andere Unternehmen im Keller fest. Extreme Bewertungsunterschiede zeigen sich daher nicht nur auf Indexebene, sondern auch unter der Oberfläche. Ein Blick auf die Dax-Werte genügt. So locken laut Datenbank der Börse München auf den ersten Blick 10 der 40 Indexmitglieder mit einem einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Gewinnschätzungen für 2024.
Darunter befinden sich wie in den Vorjahren die Automobilhersteller, Banken und Bayer aufgrund hausgemachter Probleme – sozusagen die Grünen und Liberalen des Dax. Am anderen Ende der Rangliste sind viele erstklassige Namen mit hohen KGVs zu finden. „SAP wird dank des rasanten Cloud-Wachstums mit einem Multiplikator von gut 30 gehandelt“, weisen die Experten vom Lynx-Broker auf eine ambitionierte Bewertung hin. Zumal SAP vom bisherigen Jahresgewinn des Dax allein ein Drittel beisteuert.
Daniel Saurenz ist Finanzjournalist, Börsianer aus Leidenschaft und Gründer von Feingold Research. Mit seinem Team hat er insgesamt mehr als 150 Jahre Börsenerfahrung und bündelt Börsenpsychologie, technische Analyse, Produkt- und Marktexpertise. Bei t-online schreibt er über Investments und die Lage an den Märkten, immer unter dem Fokus des Chance-Risiko-Verhältnisses für Anleger. Sie erreichen Daniel auf seinem Portal www.feingoldresearch.de.
Doch zurück zu den vermeintlichen Schnäppchen. Wer nicht nur auf ein möglichst niedriges KGV schaut, sondern auch attraktive Ausschüttungen kassieren möchte, kommt an den Autowerten kaum vorbei. „Aktien wie die von BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen locken mit Dividendenrenditen von acht bis zehn Prozent“, so Vanyo Walter vom Multi-Asset-Broker Robomarkets. Kein anderer Dax-Wert kann in dieser Disziplin mithalten. Zur Einordnung: Das viel zitierte Dividenden-Basisinvestment Allianz kommt auf knapp fünf Prozent.
Das günstige KGV und die hohe Dividendenrendite sprechen eigentlich für einen Einstieg. Zu Jahresbeginn sahen die Relationen ähnlich aus. Wer damals aus diesem Grund zugeschlagen hat, dürfte seine Entscheidung inzwischen aber bereut haben. Denn der Grund für die attraktiven Relationen sind die deutlich gefallenen Kurse. „BMW, VW und Porsche liegen seit Jahresbeginn zwischen 17 und 27 Prozent im Minus, während der Dax rund zehn Prozent zugelegt hat“, gibt Stefan Riße von Acatis zu bedenken.
US-Tech-Aktien mit weitem Abstand vorne
Auffällig werden die Aktien aus Europa, wozu zum Beispiel auch LVMH, Burberry oder Hugo Boss als gefallene Engel gehören, auch im Vergleich zu den US-Titeln. Denn „Fakt ist, dass mit der Zinssenkung der US-Notenbank vielbeachtete Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 mit gut 21 ein neues Verlaufshoch erreicht haben und US-Aktien insgesamt so teuer sind wie zuletzt im Dezember 2021“, so Vanyo Walter.
Wie auch bei anderen Brokern wie Trade Republic oder eToro liegen US-Tech-Aktien auch dort seit Jahresbeginn auf den Tradinglisten ganz vorne, dominiert vom Chip-Giganten Nvidia. Im Vergleich dazu hat sich der Abstand zu europäischen Werten weiter vergrößert. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des breiten Stoxx 600 liegt inzwischen auf dem tiefsten Stand seit Jahresbeginn.
Im Umkehrschluss bedeutet das nicht, dass sich teure Aktien langfristig immer besser entwickeln als vermeintliche Schnäppchen. Bei Aktien mit niedrigem KGV sind die Erwartungen am Boden, also klassische Turnaround-Storys. Nach den Gewinnwarnungen von VW, BMW und Mercedes-Benz dürfte kurzfristig viel Negatives im Automobilsektor eingepreist sein. Ein Blick auf den Zehn-Jahres-Durchschnitt der KGVs der einzelnen Dax-Titel zeigt jedoch, dass die Werte bereits seit Jahren niedrige Relationen aufweisen.
Ganz anders stellt sich die Situation bei Bayer, Fresenius, Deutsche Post, RWE und Infineon dar. „Im Vergleich zu ihren langjährigen Durchschnittsbewertungen weisen diese Titel derzeit mit die größten Abschläge unter den Dax-Werten auf“, so der Lynx-Broker. Hier sind die Chancen auf ein nachhaltiges Comeback größer als bei Aktien, die zwar seit Jahren optisch günstig sind, aber aufgrund der immer größer werdenden Herausforderungen in der Branche nicht geliefert haben.