Die Ampel ringt um die richtige Wirtschaftspolitik. Christian Lindner sieht darin eine Chance – und macht jetzt konkrete Vorschläge, damit Deutschland wieder attraktiver für Unternehmen wird.
Den dunklen Rollkragenpullover vom Selfie mit seinem Kabinettskollegen Robert Habeck hat er noch an: Christian Lindner wirkt entspannt, als er t-online am Mittwochnachmittag in seinem Büro empfängt. Und das, obwohl es in der Ampelregierung wieder mal hoch hergeht.
Aktueller Streitpunkt, vor allem zwischen Grünen und Liberalen: die miserable Stimmung in der deutschen Wirtschaft und die Frage, wie sie sich verbessern ließe – mit schuldenfinanzierten Steuersenkungen und Subventionen oder durch Sparen, Soli-Aus und Bürokratieabbau. Im Interview mit t-online erklärt Lindner, welche Schritte er für richtig hält, wie er auf die zwei konkurrierenden Denkschulen in der Ampel blickt und warum er glaubt, dass das aktuelle Umfragetief seiner FDP nicht von langer Dauer sein wird.
t-online: Herr Lindner, Sie und Wirtschaftsminister Robert Habeck beklagen, Deutschland sei nicht mehr wettbewerbsfähig. Warum reden Sie wie zwei Oppositionspolitiker, obwohl Sie selbst die Misere verantworten?
Christian Lindner: Das weise ich zurück. Die strukturellen Schwächen von Bürokratie, Steuerlast, langsamer Digitalisierung und vernachlässigter Infrastruktur sind wohl kaum während der vergangenen 24 Monate entstanden. Sie treten nur jetzt sehr deutlich zutage, weil äußere Faktoren zusätzlich belasten. Ich nenne den in der Inflation deutlich gestiegenen Zins, die Nachfrageschwäche Chinas oder die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Das heißt, Schuld haben, wie so oft in der Politik, die Vorgängerregierungen.
Wem helfen Schuldzuweisungen? Sie führen unser Gespräch in die falsche Richtung. Mir geht es um die Frage: Wie entfesselt Deutschland wieder seine wirtschaftliche Substanz? Wir sind ja alles andere als ein schwaches Land. Wir haben qualifizierte Menschen, privates Kapital und viele starke Unternehmen. Uns fehlt derzeit aber die nötige Dynamik. Deutschland braucht deshalb eine Politik für wirtschaftlichen Aufschwung.
Womit Sie immer noch klingen wie ein Oppositionspolitiker. Wo ist Ihr Schlachtplan für diesen Aufschwung?
Nein, die Regierung kann Erfolge vorweisen. Zu Jahresanfang wurden die Bürger um 15 Milliarden Euro entlastet. Die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe sinkt auf das europäische Minimum. Wir investieren in Deutschland zudem auf Rekordniveau – beispielsweise in digitale Infrastruktur und die Bahn. Zudem haben wir ein Bürokratieabbaupaket beschlossen, das die Bürokratiekosten auf den niedrigsten Stand senken wird, seit diese ermittelt werden.
Es reicht nicht. Andere in der Welt sind in den vergangenen Jahren besser geworden. Wir müssen das Ambitionsniveau in der Wirtschaftspolitik steigern.
Eigentlich die Aufgabe des Wirtschaftsministers, mit dem Sie Ihre Meinung gerade hauptsächlich in den Medien austauschen. Reden Sie zu wenig miteinander und zu viel übereinander?
Es besteht kein Mangel an Austausch zwischen Olaf Scholz, Robert Habeck und mir. In der Demokratie findet Meinungsbildung aber auch öffentlich statt. Allerdings bekenne ich, dass mich das öffentliche Bild der Koalition bisweilen irritiert.
Die Koalition wäre in eine äußerst ernste Lage geraten
Christian Lindner
Beispielsweise hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich letzte Woche in seiner Haushaltsrede Friedrich Merz das Angebot gemacht, man könne gemeinsam über eine Aufweichung der Schuldenbremse verhandeln. Das mag seine Meinung sein, die ich respektiere. Aber wir haben eine klare Verabredung im Koalitionsvertrag. Man stelle sich vor, Friedrich Merz hätte taktisch geschickt dieses Angebot angenommen. Die Koalition wäre in eine äußerst ernste Lage geraten. Durch solche Vorstöße lenken wir auch von gemeinsamen Erfolgen ab.
Genauso könnten Sie über Robert Habeck urteilen. Wie sehr hat Sie sein Vorstoß zum Sondervermögen Wirtschaft geärgert?
Zugegebenermaßen war ich überrascht. Aber ich sehe eigentlich immer die Chancen einer Lage. Jetzt ist zumindest klar, dass der Wirtschafts- und der Finanzminister beide sagen, dass die deutsche Wirtschaft nicht hinreichend wettbewerbsfähig ist und dass auch die Steuerlast der Wirtschaft zu hoch ist. Es ist unvorstellbar, dass dies folgenlos bleibt. Deshalb brauchen wir das, was ich Dynamisierungspaket nenne.