Berlin Die Ampel-Regierung hat eine weitere Hürde genommen. Am Samstag stimmte die SPD auf einem außerordentlichen Parteitag dem Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP zu. 98,8 Prozent der rund 600 Delegierten stimmten für die Bildung einer Ampel-Koalition.
„Dies wird eine Regierung, die mehr Fortschritt für Deutschland wagen will. Auf in die 20er Jahre“ sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der am Mittwoch im Bundestag zum Kanzler gewählt werden soll.
Zuvor müssen aber noch Grüne und FDP den Koalitionsvertrag abnicken. Die FDP hält am Sonntag ihren Parteitag ab, die Grünen wollen am Montagnachmittag das Ergebnis ihres Mitgliederentscheids bekanntgeben.
Anders als noch bei Bildung der großen Koalition 2018 struggle die Zustimmung bei der SPD dieses Mal unumstritten. Und ebenfalls anders als früher struggle dieser Parteitag für Olaf Scholz kein schwerer Gang, sondern eine Krönungsmesse. Zumindest, so weit dies unter Corona-Bedingungen möglich struggle.
Nur der Parteivorstand und einige wenige Delegierte konnten vor Ort in der Berliner Parteizentrale die Scholz-Rede verfolgen, die übrigen Delegierten sahen sie zuhause an den Bildschirmen – und sahen einen Olaf Scholz, der kämpferisch für den Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP warb.
Scholz appelliert an „Verantwortung für das ganze Land“
„Forschritt führt alle drei Parteien zusammen“, sagte Scholz. Wie 1969 bei der Bildung der sozialliberalen Koalition unter Führung Willy Brandts solle durch die Ampel „ein Aufbruch gelingen“. Der Konsens dieser Regierung sei es, „nicht Verzicht zu predigen, sondern auf technologischen Forschritt und dynamisches Unternehmertum zu setzen“, sagte Scholz.
Der wohl künftige Bundeskanzler bekräftigte auch sein Ziel, länger als vier Jahre an der Regierung zu bleiben. Die Ampel-Koalition trete an, „um wiedergewählt zu werden“, sagte Scholz.
Scholz schrieb seiner Partei aber auch ins Stammbuch, sich in Regierungsverantwortung nicht zu viel mit sich selbst zu beschäftigen. „Wir sind jetzt verantwortlich für das ganze Land, es geht nicht um uns.“
Der scheidende Co-Chef Norbert Walter-Borjans gab seiner Partei mit auf den Weg, die SPD müsse in der neuen Konstellation mit einem sozialdemokratischen Kanzler Impulsgeberin und nicht nur „Lautsprecher der Regierung“ sein.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken bezeichnete die Bildung der Ampel-Regierung mit Grünen und FDP als historisches Ereignis: „Mit der Ampel schreiben wir Geschichte.“
Zum Ende der Scholz-Rede struggle der Applaus trotz der wenigen Anwesenden so laut, dass Scholz ironisch darauf hinwies, seine Parteifreunde dürften jetzt nicht vergessen, dem Koalitionsvertrag noch zuzustimmen.
Kritik am Koalitionsvertrag gab es in der folgenden Aussprache dann auch nur vereinzelt. Ein Juso-Vertreter monierte, dass das geplante Bürgergeld nicht sanktionsfrei ist.
Juso-Chefin Jessica Rosenthal richtete „schöne Grüße an die FDP“ aus und forderte, beim Thema Umverteilung müsse in den nächsten Jahren „noch mehr passieren, das ist bis jetzt zu wenig“. Grundsätzlich lobte aber auch sie den Koalitionsvertrag. Er beruhe auf einem inhaltlichen Fundament.
Der frühere Juso-Chef Kevin Kühnert zählte ein paar Kritikpunkte in der Wohnungspolitik auf, „aber so ist das eben bei Koalitionsverträgen“. Kühnert forderte seine Partei auf, „hungrig zu bleiben. Die Realität orientiert sich nicht immer an dem, was wir in den Koalitionsvertrag geschrieben haben“.
Sogar die Jusos stehen voll hinter dem Koalitionsvertrag
Dass die Zustimmung so einhellig ausfallen würde, hatte sich bereits auf dem Juso-Bundeskongress am vergangenen Wochenende abgezeichnet, auf dem die sonst regierungskritische Jugendorganisation ohne große Einwände den Koalitionsvertrag abgesegnet hatte.
Weil der Parteitag unabhängig von Personalien über den Koalitionsvertrag entscheiden sollte, ist noch unklar, wer für die SPD künftig am Kabinettstisch sitzen wird. Als einzige der drei Ampel-Parteien haben die Sozialdemokraten ihre Kabinettsmitglieder noch nicht bekanntgegeben.
Nachdem der Parteitag dem Koalitionsvertrag nun grünes Licht gegeben hat, will die SPD ihre Kabinettsriege am Montag vorstellen Mit Spannung wird vor allem die Entscheidung über den künftigen Gesundheitsminister erwartet.
Zuletzt mehrten sich die Stimmen, die sich den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach in dem Amt wünschen, der zu einer Artwork oberster Pandemie-Erklärer in der Corona-Krise aufestiegen ist.
Allerdings hat Lauterbach seit seiner gescheiterten Kandidatur um den Parteivorsitz 2019 in der SPD einen schweren Stand. Lauterbach wetterte vehement gegen die große Koalition und gegen die eigene Partei und zerschlug dadurch viel Porzellan. Viele in der SPD halten ihn für zu unberechenbar und zu illoyal, um den in Krisenzeiten so wichtigen Job zu übernehmen.
Unklar ist auch noch die Besetzung des Verteidigungsministeriums. Andere Posten sind dagegen schon so intestine wie vergeben: Kanzleramtschefs wird Scholz‘ Vertrauter Wolfgang Schmidt, Bauministerin dürfte Svenja Schulze werden, Innenministerin Christine Lambrecht.
Auch Hubertus Heil als Bundesarbeitsminister dürfte gesetzt sein, auch wenn zuletzt manche in der SPD spekulierten, er könne auch das Verteidigungsministerium übernehmen. Ebenfalls darf die SPD noch das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit besetzen.
Scholz hat bei Ministerposten das letzte Wort
Welche SPD-Politiker ins Kabinett kommen, entscheidet vor allem einer: der künftige Kanzler Olaf Scholz. Angesprochen auf ihre Zukunft sagten SPD-Kabinettsmitglieder und Anwärter zuletzt, dies werde „Olaf ihnen dann in den nächsten Tagen mitteilen“.
Nach Bekanntgabe der Ministerposten stehen dann in nur einer Woche schon die nächsten entscheidenden Personalentscheidungen an. Am kommenden Samstag kommt die SPD zu ihrem regulären Parteitag zusammen, um eine neue Parteispitze zu wählen.
Für den Parteivorsitz kandidiert erneut Saskia Esken, seit 2019 Parteichefin, sowie der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Er will den bisherigen Parteichef Walter-Borjans beerben, der erklärt hatte, nicht mehr anzutreten.
Nachfolger Klingbeils als Generalsekretär soll der frühere Juso-Chef und derzeitige Parteivize Kevin Kühnert werden. Er wurde am Freitag vom Parteivorstand einstimmig nominiert.
Für Kühnert als Parteivize soll laut dem Personalvorschlag des Parteivorstands Thomas Kutschaty nachrücken. Kutschaty soll als SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im nächsten Jahr Nordrhein-Westfalen von der CDU zurückerobern.
Mehr: Der große Ampel-Examine – Was die Koalition vor hat