Berlin Wer sich in diesen Tagen vom schleppenden Fortschritt der Digitalisierung in der Verwaltung überzeugen will, sollte eine behördliche Anlaufstelle für Geflüchtete besuchen. Vor dem Amt für Migration in Hamburg etwa bilden sich derzeit regelmäßig lange Schlangen in der Frühlingskälte.
Es sind Ukrainerinnen und Ukrainer, die schon eine Unterkunft in Deutschland haben, sich aber noch offiziell registrieren müssen. Während die Ukraine selbst eine digitale Identität auf dem Smartphone anbietet, finden die Geflüchteten in Deutschland eine Verwaltung vor, die noch von Faxgeräten dominiert wird. Wer einen Termin will, muss eine Wartemarke ziehen und vor der Tür ausharren.
Um diesen Zustand schnell zu verbessern, hat sich in Berlin ein Bündnis zusammengeschlossen, das das Großprojekt eines digitalen Staates angeht. Mit dabei sind unter anderem das Bundesinnenministerium, das Bundesfinanzministerium, das Auswärtige Amt, die Bundesländer Hessen, Hamburg und Baden-Württemberg und viele Akteure aus der Wirtschaft.
Sie alle wollen sich auf dem neuen „Govtech Campus“ im Berliner Nordwesten zusammentun, um den Staat aus dem Zeitalter der Heftklammern zu holen. Die Verwaltung soll dafür die Visionen der Wirtschaft kennenlernen, die Wirtschaft die Bedürfnisse der Verwaltung verstehen.
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Ins Leben gerufen wurde die Begegnungsstätte von Lars Zimmermann, Gründer des Govtech-Unternehmens Public, Markus Richter, Chief Info Officer (CIO) des Bundes, und Patrick Burghardt, CIO des Landes Hessen.
Am Dienstag wird der Govtech Campus offiziell eröffnet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erhofft sich, damit eines der führenden Tech-Ökosysteme für Staat und Verwaltung in Deutschland und Europa aufzubauen. „Das sind neue Pfade, die wir jetzt als Staat betreten“, sagte Faeser dem Handelsblatt. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Räumlichkeiten schon besucht.
Der Govtech Campus teilt sich das Gebäude mit dem neu gegründeten Campus für Künstliche Intelligenz (AI Campus). Dementsprechend ist die Ausstattung hip statt bieder, eine automatische Kantine kocht das Mittagessen nach den Wünschen ihrer Kunden und kann sich dabei individuelle Vorlieben merken.
Auch bei der Imaginative and prescient einer modernen Verwaltung soll Künstliche Intelligenz (KI) eine große Rolle spielen. Wie das eines Tages konkret aussehen könnte, erklärt Jonas Andrulis, Gründer des KI-Unternehmens Aleph Alpha. Wenn es nach ihm geht, sollten der Verwaltung bald „unendlich viele pfiffige Praktikanten“ zur Verfügung stehen, wie Andrulis seine eigene Software program beschreibt.
Denn Andrulis“ Programm verfügt über ein Kontextwissen, das mit dem eines jungen Menschen vergleichbar ist, der zwölf Jahre lang die deutsche Schulbildung genossen hat. Allerdings ohne Schwänzen und Gedächtnislücken.
Die Technologie weiß additionally in etwa, wie die Welt funktioniert, weiß zum Beispiel, dass Bushaltestellen rosten können, Menschen aber nicht. Das klingt banal – für eine Software program ist es aber revolutionär.
„KI struggle bisher immer blind für menschliches Kontextwissen“, erklärt Andrulis. Um in einem Umfeld wie der Verwaltung zum Einsatz zu kommen, muss die Software program eine gewisse Allgemeinbildung haben und damit vertraut sein, wie die Menschheit funktioniert.
„Die KI kann dann zum Beispiel einfach zu verstehende Zusammenfassungen von einer hohen Zahl komplexer Dokumente schreiben“, sagt der Gründer. Aufgaben, die ein cleverer Praktikant mit sehr viel Zeit auch erledigen könnte.
Für fachspezifische Aufgaben lässt sich die Software program nur mit Unterstützung der zuständigen Experten einsetzen. Wie ein Praktikant eben. Dafür ist sie anders als eine Aushilfe aus Fleisch und Blut nicht an die üblichen Arbeitszeiten gebunden und lässt sich für verschiedenste Zwecke vervielfachen.
Wie die Idee in der Verwaltung ankommt, muss sich erst noch zeigen. Aber der Govtech Campus soll dafür sorgen, dass Technologien wie die von Aleph Alpha nicht an den Realitäten der Staatsbediensteten vorbei entwickelt werden.
Verwaltung für Begin-ups oft unattraktiv
Bundes-CIO Markus Richter setzt große Hoffnung in die Zusammenarbeit: „Neu ist, dass wir Probleme, die verhindern könnten, dass Innovationen produktiv werden, schon bei der Entwicklung der Idee berücksichtigen.“ Denn daran scheitere der Einsatz von Technologien momentan häufig noch.
Ein weiteres Downside ist der Beschaffungsprozess in der Verwaltung, der momentan für Technologiefirmen noch zu unattraktiv ist, wie der Mitgründer des Govtech Campus Zimmermann erklärt: „Wir müssen das ganze Beschaffungswesen neu denken.“ Momentan gebe es viele Probleme: Begin-ups würden in Ausschreibungen unzureichend berücksichtigt, Prozesse seien langwierig, und die Verwaltung habe einen schlechten Ruf.
„Viele Begin-ups können sich nicht leisten, jemanden anzustellen, der jeden Tag Ausschreibungsportale durchsucht“, sagt Zimmermann. Deswegen komme die Verwaltung erst gar nicht in Kontakt mit Tech-Unternehmen, die vielleicht eine Lösung bieten könnten.
Der Govtech Campus will deshalb eine Artwork Testlabor aufbauen, in dem neue Arten der Ausschreibungen und Abläufe ausprobiert werden. Einen „Sandkasten für die Beschaffung“ nennt Zimmermann das Projekt. Dahinter steckt der Ansatz, eine neue Idee ausprobieren, verändern und zur Not wieder einstampfen zu können. Ein Erfindergeist, der in der Verwaltung bisher eher selten ist.
Damit Verwaltung und Tech-Szene in Zukunft stärker in den Austausch treten können, plant der Govtech Campus zudem eine App. Darauf sollen sich Behörden und Unternehmen präsentieren können. Gibt es ein „Match“, haben additionally beide Seiten Interesse aneinander, kann daraus eine Kooperation entstehen.
Ein weiterer Ansatz für den Staat der Zukunft wäre auch ein Algorithmus, der beispielsweise dem Finanzamt dabei helfen könnte auszuwählen, welche Steuererklärungen noch einmal genauer geprüft werden müssen.
Jann Lorenz Spiess, Assistenzprofessor für IT an der Stanford-Universität und Dozent am Govtech Campus, nennt als Vorbild die Algorithmen von Streamingplattformen. „Wenn ich auf Netflix einen schönen Movie anschauen will, kann mir ein komplexer Algorithmus mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Movie aussuchen, der mit intestine gefällt“, erklärt er. Eine ähnliche Treffsicherheit könnte nach etwas Coaching ein Algorithmus auch für die elektronische Steuererklärung liefern.
Die große Frage bleibt allerdings, ob der Govtech Campus tatsächlich dazu führen wird, dass diese modernen Ansätze die verkrusteten öffentlichen Strukturen aufbrechen werden. Professor Thomas Meuche, Verwaltungsexperte an der Hochschule Hof, ist da skeptisch.
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„Der Ansatz, eine Lösung für die gesamte Verwaltung zu entwickeln und viele Akteure zusammenzubringen, ist richtig“, sagt er. Seine Erfahrungen zeigten aber, dass das nicht umsetzbar sei. Dabei spielten kommunale Selbstverwaltung, Hierarchieprobleme und eine rückständige Ausbildung eine Rolle. „Sie haben in der Verwaltung unglaubliche Beharrungskräfte“, sagt er.
Mitinitiator Zimmermann ist trotzdem optimistisch, dass der Govtech Campus für die Verwaltung den digitalen Durchbruch bringen könnte. „So ein Modell gibt es bisher nur einmal, und das ist hier“, sagt er. Wenn alles klappt, soll die Idee ein Exportschlager werden.
Die österreichische Digitalministerin Margarete Schramböck hat schon vorbeigeschaut. In einem nächsten Schritt sollen aber erst mal Satelliten des Originalcampus aus Berlin in anderen deutschen Bundesländern entstehen. Frankfurt und Hamburg stehen schon in den Startlöchern.
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