Sie arbeitet in Teilzeit, studiert und ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Das, was Eltern täglich leisten, sei unsichtbar und werde nicht wertgeschätzt, sagt Martha Rösner.
Die Wirtschaft stagniert. Schuld daran sei auch, dass Deutschland sich vom Leistungsgedanken verabschiedet, kritisieren Politiker und Unternehmer. Stimmt das? Wie denken die Menschen im Land darüber? Und was verstehen wir eigentlich unter Leistung? t-online geht diesen Fragen in einer Serie nach, lässt dazu bekannte und unbekannte Menschen zu Wort kommen. In dieser Folge:
Martha Rösner, 33, städtische Angestellte aus Lehrte (Region Hannover) und alleinerziehende Mutter zweier Söhne im Alter von sechs und acht Jahren:
„Als ich aufgewachsen bin, war Leistung für mich eine sichtbare Zahl, zum Beispiel auf dem Zeugnis. Oder ein messbarer Wert, etwa beim Sport. Aber schon während meiner Ausbildung zur Kinderkrankenschwester habe ich gespürt, dass messbare Werte Leistung gar nicht widerspiegeln können. Das, was ich im Krankenhaus geleistet habe, ging deutlich über das hinaus, was beispielsweise in den Ausbildungsnoten sichtbar war. In den vergangenen Jahren hat sich mein Blick auf Leistung dann endgültig verändert: Als alleinerziehende Mutter zweier Kinder ist Leistung für mich mittlerweile etwas sehr Unsichtbares.
Denn das, was Eltern tagtäglich leisten – besonders wenn sie in einer Ein-Eltern-Familie leben – kann man nicht messen. Wenn ich morgens im Büro sitze, habe ich schon ungefähr zweieinhalb Stunden wirklich intensive Arbeit mit meinen Kindern hinter mir. Ich habe sie geweckt, ihnen beim Anziehen geholfen, Frühstück gemacht, Brotdosen gepackt, sie zur Schule gebracht, sie verabschiedet – alles ruhig und geduldig, egal wie die Kinder gelaunt sind. Und das Einzige, was man nach außen sieht, ist: Ich bin um 8 Uhr im Büro. Alles, was vorher war, ist unsichtbar. Care-, also Sorge-Arbeit ist unsichtbar. Die täglichen Leistungen von Eltern werden häufig nicht wertgeschätzt.
Zur Person
Martha Rösner arbeitet in Teilzeit bei der Stadt Lehrte (Region Hannover), 15 Stunden pro Woche. Dort leitet die 33-Jährige Angebote für Familien mit Kindern bis zum Alter von drei Jahren. Rösner studiert zudem Psychologie. Seit 2019 zieht sie ihre beiden Söhne alleinerziehend groß.
Und so gibt es Tage, an denen denke ich, ich habe besonders viel geleistet, weil ich besonders erschöpft bin. Ich mache meine Leistung dann also daran fest, dass es eigentlich zu viel war. An den anderen Tagen muss ich mir schon selbst vor Augen führen, was ich bereits alles geschafft habe. Sonst fällt es mir selbst irgendwann nicht mehr auf. Denn der Berg an Arbeit wird nicht kleiner. Wir werden jeden Tag Wäsche und Abwasch haben. Und es klingelt niemand an meiner Tür und sagt: „Mensch, das haben Sie aber toll gemacht mit ihren Kindern.“
Als ich mich 2019 vom Vater meiner Kinder getrennt habe und alleinerziehend wurde, dachte ich anfangs oft: Das ist alles viel zu viel. Wie schaffen das andere mit zwei Kindern allein, zusätzlich noch einer Arbeit, einem Haushalt, einem eigenen Leben? Zum Glück habe ich ein sehr gutes soziales Umfeld und ein Netzwerk, das mich stützt. Das meine Leistung auch anerkennt.
Mittlerweile kann ich den Leistungsbegriff anders einordnen und selbst mehr wertschätzen, was ich leiste. Wir als kleine Familie zu dritt schaffen unglaublich viel. Wir haben richtig schöne Erfolgserlebnisse. Die Kinder werden größer und selbstständiger und entwickeln starke Persönlichkeiten. Zu wissen, dass das zum Teil mein Verdienst ist, ist schön. Ich lese meinen Kindern beispielsweise täglich vor. Die beiden lieben Bücher und mein großer Sohn kann jetzt ganz allein lesen. Das ist auch das Ergebnis einer Leistung, die ich zuvor erbracht habe. Dafür kann ich mir auf die Schulter klopfen.
Ich denke, dass die gesamte Sorge-Arbeit, die Menschen erledigen, irgendwann in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert bekommen muss. Aber wir müssen viel darüber reden und sie sichtbar machen – indem wir eben nach außen hin nicht so tun, als könnten wir alles schaffen. Ich sage oft: Ich kann das nicht leisten. Oder: Ich brauche eure Unterstützung, damit ich am Elternabend teilnehmen kann. Oder: Aus den und den Gründen ist es für mich schwierig, beim Kindergartenfest zu helfen.
Alleinerziehende in Deutschland
In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt rund 1,57 Millionen Ein-Eltern-Familien mit minderjährigen Kindern (Stand 2022). Das entspricht einem Anteil von etwa 19 Prozent an allen Familien. 85 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter, 15 Prozent Väter. Mehr als zwei Drittel der alleinerziehenden Mütter gehen laut Bertelsmann Stiftung einer Erwerbsarbeit nach. Fast jede Zweite von ihnen arbeitet in Vollzeit oder in vollzeitnaher Teilzeit (Stand 2018). Dennoch sind Alleinerziehende die Familienform, die am häufigsten von Armut betroffen ist: Im Jahr 2022 waren es laut Daten des Statistikamts knapp 43 Prozent von ihnen.
Als bei meinem Großen die Schule anstand, habe ich mir viele Gedanken gemacht, was ich meinen Kindern zum Thema Leistung vermitteln möchte. Ich möchte ihnen keinen Druck machen. Mir ist es wichtig, dass sie sich mit jeder Schulnote nach Hause trauen. Sodass wir darüber sprechen können, was sie verbessern können. Beziehungsweise, ob sie überhaupt etwas verbessern müssen. Eine drei ist eine super Note. Auch mit einem Dreierzeugnis können sie stolz sagen: „Mensch, ich habe ein Schuljahr geschafft.“ Vielleicht lagen die Herausforderungen in dem Jahr ganz woanders. Man kann kleine Schritte gehen, Stück für Stück Probleme angehen. Und darauf stolz sein, was man bereits geschafft hat.