Der Bericht des Europäischen Netzwerks zur Armutsbekämpfung weist auf eine gerechtere Besteuerung als Instrument zur Vermeidung von Marginalisierung hin.
Armut hat viele Gesichter, aber das häufigste Gesicht ist das einer Frau wie der 54-jährigen Geneviève Baert, die in Belgien lebt. Der Verlust des Familienunternehmens als Teenager und die Betreuung von fünf Kindern als alleinerziehende Mutter trieben sie in die Armut.
„Ich hatte eine Zeit, in der ich arm war, und ich wusste es nicht“, sagt sie in einem Interview mit Euronews. Aber Hilfsnetzwerke drängten sie dazu, „anders zu kämpfen, mit anderen Waffen“ und hielten sie davon ab, sich selbst die Schuld zu geben. „Es ist die Gesellschaft, die mich nicht umgibt, damit ich mich weiterentwickeln kann“, sagt sie.
Sie gehört zu den 95,3 Millionen Menschen in der Europäischen Union, die im Jahr 2022 von sozialer Ausgrenzung oder Armut bedroht waren. Laut Eurostat, dem europäischen Statistikamt, sind das 22 % der Bevölkerung der Union. Länder wie Rumänien (34 %), Bulgarien (32 %), Griechenland und Spanien (beide 26 %) stehen an der Spitze der Liste.
Baert gehört zu einer der am stärksten gefährdeten Gruppen: Frauen. Dies geht aus dem neuesten Bericht des Europäischen Netzwerks zur Armutsbekämpfung (EAPN) hervor. Die Armut von Frauen „wird durch geringe Bezahlung und geringe Betreuungspflichten verschlimmert, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie einer Teilzeit- oder Zeitbeschäftigung nachgehen, ist größer.“ So warnt der Bericht beispielsweise davor, dass in Österreich etwa die Hälfte der Frauen Teilzeit arbeitet, um für ihre Kinder zu sorgen, was sie finanziell von ihren Partnern abhängig macht.
Laut EAPN-Präsident Carlos Sosías ist die Situation „strukturell“. Es gebe „einen Unterschied in allen Parametern der Armut zwischen Männern und Frauen, zugunsten der Männer und gegen die Frauen“. Daher müssen die Maßnahmen zur Beseitigung der Geschlechterunterschiede aus Sicht von Sosías über die derzeitigen Schutzmaßnahmen hinausgehen und auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben abzielen.
Für Baert war es von entscheidender Bedeutung, ihre Kinder in den Kindergarten bringen zu können. „Es ist wichtig für die Mutter, weil sie sich emanzipieren kann, und es ist wichtig für das Kind, weil es in diesem Alter bereits die Sozialisation lernt“, erklärt sie.
Sosías fordert aber auch Änderungen bei der Besteuerung von Alleinerziehenden, die 80 % der Alleinerziehenden mit unterhaltsberechtigten Kindern ausmachen. „Wir brauchen eine Steuerpolitik, die auch bestimmte Negativsteuern zulässt, um Familien in gefährdeteren Situationen zu unterstützen“, sagt er.
Baert beklagt, dass sie von Armut betroffen ist Kinder‘s Leben und Möglichkeiten. „Ich habe in der Schule sehr schlechte Erfahrungen gemacht, weil Kinder aus benachteiligten Verhältnissen stark diskriminiert werden“, sagt sie. Zudem habe sie die Empathie anderer Eltern oder Schulen vermisst. „Das hinterlässt Spuren bei Kindern, unauslöschliche Spuren“, sagt sie.
Wohnkosten erhöhen das Armutsrisiko
Der Bericht warnt auch davor, dass steigende Immobilienpreise und hohe Inflation schutzbedürftige Gruppen, darunter junge Menschen und Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, am härtesten treffen. Dies ist in Portugal der Fall, wo der Bericht erklärt, dass „im Jahr 2022 19,4 % der armutsgefährdeten Bevölkerung durch Wohnkosten überlastet waren, verglichen mit 2,2 % der nicht armutsgefährdeten Bevölkerung“. Darüber hinaus wird in dem Text darauf hingewiesen, dass es in ganz Portugal 2,8 Millionen Haushalte mit wohnungsbezogenen finanziellen Problemen gibt.
Auch wohnungsbedingte Schwierigkeiten, etwa die Unmöglichkeit, im Winter eine angemessene Temperatur aufrechtzuerhalten, sind bei armutsgefährdeten Gruppen höher.
Laut einem Bericht der Europäischen Kommission über den Zugang zu wesentlichen Dienstleistungen in der EU im Jahr 2024 ist die Energiearmut „in allen Mitgliedstaaten für armutsgefährdete Menschen höher und reicht von 3,9 % in Finnland bis 50,6 % in Zypern, während dies im EU-Durchschnitt der Fall ist.“ 20,2 %“.