Bundesliga-Legende Ailton spricht bei t-online über seine ungewöhnliche Karriere, über Glück und Schicksal – und die Geldgier von Fußballervätern.
Double-Sieger und Torschützenkönig 2004, 106 Bundesligatore – Ailton Gonçalves da Silva, kurz: Ailton, war in seiner Hochzeit bei Werder Bremen (1998 bis 2004) maßgeblich mitverantwortlich für die Erfolgsphase der Norddeutschen. Mit humorvollen Interviewauftritten in gebrochenem Deutsch wurde der Brasilianer dazu vereinsübergreifend zum Publikumsliebling.
Nach weiteren Stationen in der Bundesliga beim FC Schalke 04 (2004/05), dem Hamburger SV (2006) und im Ausland ließ der aufgrund seiner gedrungenen Statur zum „Kugelblitz“ verniedlichte Stürmer seine Karriere in Deutschland bei unterklassigen Klubs ausklingen. Nun hat er seinen Weg aufgeschrieben: Im Buch „Mein Fußballmärchen“, das seit 2. November erhältlich ist, erzählt der Wahl-Bremer seine ereignisreiche Lebensgeschichte.
t-online traf den heute 51-Jährigen in Hamburg zum Interview. Beim Interviewtermin ist Ailton bestens gelaunt, erst am Vortag ist er aus Brasilien zurückgekehrt. Er habe Familienangehörige besucht, ein Fußballspiel organisiert und Körbe mit Lebensmitteln verteilt. „In Brasilien gibt es im Moment sehr viele Menschen, die es schwer haben“, sagt er merklich bewegt. Dann geht es ins Gespräch. Ailton erinnert sich an einen Kulturschock in Bremen, übt scharfe Kritik an einem weltbekannten Landsmann – und beklagt Fehlentwicklungen im modernen Fußball.
t-online: Ailton, hatten Sie Glück?
Ailton: Ich weiß gar nicht, ob ich selbst in meinem Alter richtig verstanden habe, was Glück heißt.
Sie haben es aus einem kleinen Ort im Nordosten Brasiliens ohne fließend Wasser und ohne „klassische“ Fußballausbildung bis zum deutschen Meister und Bundesliga-Torschützenkönig geschafft. Ist das kein Glück?
Natürlich gibt es einige Momente in meiner Karriere, die man heute als „Glück“ bezeichnen könnte. Allein schon, dass ich entdeckt wurde. In Brasilien spielen von 1.000 Menschen mindestens 800 Fußball. Wenn von denen alle wirklich gut wären, gäbe es gar nicht genug Profiklubs, die alle aufnehmen könnten (lacht).
Wie ist man auf Sie aufmerksam geworden?
Mich hat ein Scout in einer Partie entdeckt, die wir 0:8 verloren haben. Wer kommt da denn auf die Idee, einen Spieler der Mannschaft zu holen, die gerade acht Dinger kassiert hat? Zwei Wochen später bekam ich dann aber tatsächlich eine Einladung nach São Paulo. Ist das Glück – oder nicht doch eher etwas anderes?
Als Katholik glaube ich fest ans Schicksal, das für jeden vorbestimmt ist – und meines war es eben, Fußball zu spielen. Ich war nie gut in der Schule, habe viele Jahre sogar ohne Fußballschuhe gespielt, kam dazu aus einem kleinen Ort in die große Stadt. Und trotz dieser widrigen Umstände hat es geklappt. Obwohl ich als Teenager fast schon aufgehört hätte.
Ich war 14, 15 Jahre alt und hatte mich schwerer verletzt, bei den medizinischen Gegebenheiten damals in Brasilien besonders nachteilig. Ein Bruch des Fußknöchels. Ein Arzt legte mir nahe, nicht mehr Fußball zu spielen. Meine Mutter war fast schon traumatisiert von meiner Verletzung und wollte unbedingt, dass ich einen „vernünftigen“ Job annehme. Aber ich kam vom Fußball einfach nicht weg. Und das hat meine Mutter dann auch bemerkt. Bei einer Gelegenheit dann drückte sie mich ganz fest, da wusste ich endgültig, dass ich ihren Segen hatte.
Ihr Buch hat den Titel „Mein Fußballmärchen“. Wäre eine Karriere wie Ihre heute noch möglich?
Nein. Ich kann es mir nicht vorstellen – nicht nur wegen meines ungewöhnlichen Wegs, der sich im durchprofessionalisierten Fußball so heute nicht mehr bieten würde. Es war insgesamt eine ganz andere Zeit. Ich erinnere mich zwar gerne daran zurück, aber: Es war auch schwer. Wirklich schwer.