Unsere Gesellschaft verändert sich rasant, Krisen mehren sich. Werden wir in Zukunft möglicherweise noch öfter getriggert?
Dass wir so viele Triggerpunkte haben, hat etwas mit den enormen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen zu tun. Die Menschen spüren ganz klar eine Veränderungserschöpfung. Wenn sich die Anforderungen an Politik permanent verändern, dann stoßen sie immer an die Grenzen eines oft stillschweigend vorausgesetzten impliziten Gesellschaftsvertrages, wie Dinge laufen sollen. Das schafft natürlich Reibung. Triggerpunkte können sich aber auch positiv auswirken, sonst hätten wir bis heute kein Frauenwahlrecht.
Können Triggerpunkte eventuell auch irgendwann dabei helfen, Ost- und Westdeutschland einander näherzubringen?
Das wird sich zeigen. Ich möchte nochmal betonen, dass Deutschland kein gespaltenes Land ist. Auch in Italien gibt es zwischen dem Norden und Süden Ungleichheit und Unterschiede in den politischen Kulturen.
Wie lange kann ein Land solche Unterschiede aushalten?
In Italien klappt das trotz aller Spannungen bereits seit der Gründung des Nationalstaats 1861. Problematisch wird es, wenn die Demokratie ins Wanken gerät. Also, wenn andere Mentalitäten, andere Selbstverständnisse dafür sorgen, dass populistische Parteien enormen Zulauf bekommen und sie versuchen, mit ihrer Macht die staatlichen Institutionen zu untergraben.
Über den Aufstieg der AfD im Osten haben wir bereits gesprochen, bei den kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen könnte die Partei große Erfolge verbuchen. Was dann?
Dann wird es extrem kompliziert – vor allem für die CDU, die sich fragen muss: Will sie mit dem BSW kooperieren, wenn sie eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt? Ich will keine politischen Ratschläge erteilen, aber grundsätzlich feststellen, dass es zwischen AfD und BSW erhebliche Unterschiede gibt. Das BSW lässt sich wegen seiner Affinität zu Wladimir Putin kritisieren, aber die Wagenknecht-Leute würden – anders als die AfD – wohl kaum die demokratischen Spielregeln infrage stellen. Die AfD ist da deutlich gefährlicher.
Der Osten ist anders – und er wird es auch bleiben.
Steffen Mau
Was ist Ihre Befürchtung?
Die AfD würde Teile Ostdeutschlands wohl am liebsten zur „national befreiten Zone“ erklären: Regionen ohne migrantische Communitys, Regionen, in der der „verweichlichte Westen“ keinen Einfluss hat. Das wäre der Weg zu einer echten innerdeutschen Spaltung. Besser, wenn es nicht dazu kommt.
Deswegen plädieren Sie in Ihrem Buch für neue Formen der Demokratie, zum Beispiel Bürgerräte, deren Mitglieder ausgelost werden. Was soll das bewirken?
Bürgerräte sind relativ immun gegen den Vorwurf, dass „da oben“ irgendwelche Eliten Dinge miteinander verhandeln würden, die „die hier unten“ dann ausbaden müssten. Meine Hoffnung ist, dass dadurch der demokratische Willensbildungsprozess wieder gestärkt wird – was gerade im Osten sehr nötig ist. Denn im Moment beobachten wir ja eher eine Form der politischen Beteiligung, die man „Anforderungsdemokratie“ nennen könnte.
Die Leute gehen auf die Straße und hoffen, dass die Regierenden Zugeständnisse machen. Dadurch ist eine Art Parallelpolitik entstanden, eine Form der Marktplatzpolitik, der politischen Einflussnahme, quasi als Ersatz für Parteien und Parlamente. Dem ließe sich mit Bürgerräten begegnen. Die Bürgerräte könnten Freude an der echten Politik vermitteln, bestenfalls würden wir damit auch politische Talente entdecken.
Ihr Buch endet mit den hoffnungsfrohen Worten, dass es viele Möglichkeiten gäbe, die Demokratie zu verteidigen. Wie aber soll das gelingen mit einer Politik, die ihren Vorteil im Triggern sucht?
Die ganze Meckerei müsste die Menschen irgendwann erschöpfen. Darauf hoffe ich. Ab einem bestimmten Punkt wollen die Leute nicht mehr, dass die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird, sondern sie verlangen eine ordentliche Politik. Optimistisch stimmen mich die Millionen Menschen, die Anfang des Jahres gegen den Rechtsradikalismus auf die Straße gegangen sind. Damals zeigte sich, dass die Mitte der Gesellschaft die meiste Zeit zwar leiser als die radikalen Ränder ist, aber doch die Stimme erhebt, wenn es drauf ankommt. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen lehnt das Radikale ab.
Werden sich West- und Ostdeutschland zukünftig einander wieder annähern?
Der Osten ist anders – und er wird es auch bleiben. Daran ist grundsätzlich auch nichts Schlimmes.
Professor Mau, vielen Dank für dieses Gespräch.