Jürgen Klopps Zeit beim FC Liverpool endet ohne einen großen Titel. Was bleibt, ist das Vermächtnis eines Welttrainers.
Mit versteinerter Miene stand er am Spielfeldrand, ehe sich sein Gesicht zu einem leicht gequälten Lächeln verzog. 18. April, Bergamo, kurz vor 23 Uhr.
Jürgen Klopp wusste in diesem Moment, dass es vorbei sein würde. Aus der Traum von einem letzten internationalen Titel mit dem FC Liverpool. Nach einer 0:3-Pleite im heimischen Wohnzimmer an der Anfield Road war ein 1:0 bei den Italienern zu wenig, um noch die Chance auf den Halbfinaleinzug zu haben.
Die Hypothek aus dem Hinspiel sei zu groß gewesen, gab Klopp nach der Partie der anwesenden Presse zu verstehen. Der Coach, nicht immer als guter Verlierer bekannt, musste die Niederlage anerkennen. Und auch wenn das Spiel mit 1:0 gewonnen werden konnte, fühlte es sich doch wie eine weitere Niederlage an.
Nur vier Tage zuvor hatten die „Reds“ eine bittere 0:1-Pleite gegen Crystal Palace in der Liga schlucken müssen. Es war der Anfang vom Ende im Titelrennen für Liverpool, das mit großen Ambitionen in den Saisonendspurt gestartet war.
League Cup als einziger Titel zum Abschied
Vier Titel hätte der Klub aus dem Nordosten Englands einheimsen können, am Ende wurde es ein einziger: der vergleichsweise unbedeutende League Cup, den man bereits Ende Februar für sich entscheiden konnte.
Die maue Titelausbeute des FC Liverpool, sie steht in großer Diskrepanz zum Lebenswerk ihres Trainers. Als Jürgen Klopp im Oktober 2015 das Zepter bei den „Reds“ übernahm, war er mit einer Mission angetreten. „We have to change from doubters zu believers“, zu Deutsch: von Zweiflern zu Glaubenden werden.
Was nahezu sakral anmutete, ist in Liverpool zum Mantra geworden. Jürgen Klopp hat den temporär zur grauen Maus verkommenen englischen Erstligisten binnen weniger Jahre zu einem Spitzenteam der Liga geformt.
„Bevor Jürgen kam, befanden wir uns in einer Phase, in der wir begannen, uns Sorgen zu machen, in der zweiten Reihe des europäischen Fußballs zu verkommen“, berichtet John Gibbons, Mitglied des Liverpool-Kollektivs „The Anfield Wrap“, im Gespräch mit t-online. „Es lief ok, aber wir konnten nicht mehr um die großen Trophäen mitspielen. Als Jürgen Klopp durch die Tür kam, versprach er das alles zu ändern. Aber anstatt die Erwartungen zu dämpfen, wie so viele andere Trainer zuvor, hat er sie erhöht.
Bis auf die Europa League, in der er bereits in seinem ersten Halbjahr als Cheftrainer das Finale erreicht hatte, gewann Liverpool mit Klopp jeden möglichen Titel. „In vier Jahren werden wir etwas gewonnen haben“, versprach er den Anhängern. Er sollte Recht behalten. Im Juni 2019 holte Liverpool erstmals seit 2005 die Champions League.
Am Sonntag steht nun das letzte Spiel mit Klopp an der Seitenlinie des FC Liverpool bevor, zu Hause gegen die Wolverhampton Wanderers. Ihm gehe die Kraft aus, hatte Klopp Ende Januar in einer Videobotschaft seinen Abschied angekündigt. Nach sieben Jahren in Dortmund und fast neun Jahren in Liverpool braucht selbst Tausendsassa Klopp eine Pause.
Der „Normal One“ hat keine Kraft mehr
Die Energie, die Klopp seit Tag eins durch alle möglichen Bereiche des Klubs strömen ließ, sie hat ihn verlassen. Dem Mann, der sich damals in Anlehnung an den als „The Special One“ bekannten Welttrainer José Mourinho gewohnt bescheiden als „The Normal One“ – den „Normalen“ – bezeichnete, hat keine Kraft mehr, den erneuten Wiederaufbau zu betreiben. Der zweifache Welttrainer, der Charismat und Menschenfänger, setzt einen vorläufigen Schlussstrich.