Grübeln, testen und tasten: Menschen mit Krankheitsangst werden oft als Simulanten abgestempelt. Dabei ist das mehr als Befindlichkeit, sondern eine Störung – die sich gut behandeln lässt.
„Alles Einbildung“, „Simulant“ oder schlichtweg „Hypochonder“, diese Begriffe bekommen sie an den Kopf geworfen. Wer Angst vor Krankheiten hat, muss sich von seinem Umfeld teilweise einiges anhören. Dabei gehört zur Wahrheit: Zwar haben Betroffene die gefürchteten Erkrankungen in der Regel nicht, gesund sind sie trotzdem oft nicht.
Was ist Hypochondrie?
Bei Hypochondrie, die heutzutage meist als Krankheitsangststörung bezeichnet wird, handelt es sich um eine psychische Störung, die den Alltag stark beeinträchtigt. Der Begriff Hypochonder werde inzwischen fast als Schimpfwort verwendet, erklärt Timo Slotta, Psychologischer Psychotherapeut an der Spezialambulanz für Krankheitsangst an der Universität zu Köln.
Um von seinem Umfeld als „Hypochonder“ bezeichnet zu werden, reicht es meist schon, Sorgen oder Beschwerden zu äußern, die bei einer medizinischen Untersuchung dann nicht bestätigt werden.
Der eigene Körper unter ständiger Kontrolle
Für die tatsächliche Diagnose bedarf es etwas mehr: „Betroffene beschäftigen sich exzessiv damit, eine schlimme Erkrankung zu haben“, sagt Slotta. „Meist geht es um Erkrankungen, die einen über Monate oder Jahre hinweg sterben lassen können.“
Sie gehen häufig zum Arzt, grübeln, lesen viel zu dem Thema und betreiben sogenanntes Bodychecking. Das bedeutet, sie scannen zum Beispiel ihre Haut nach verdächtigen Flecken, Tasten sich so lange ab, bis es schmerzt, machen Gleichgewichtsprüfungen, oder messen oft ihren Blutdruck oder den Sauerstoffgehalt im Blut.
Sich ab und an vor bestimmten Symptomen erschrecken, ist dabei nicht das Problem, wie Slotta betont. Krankhaft wird es dann, wenn man es unbedingt abklären muss und der Alltag beeinträchtigt ist.
„Betroffene entwickeln ein Vermeidungsverhalten: Sie gehen nicht mehr zum Sport oder zur Arbeit“, sagt Sabine Köhler. Sie ist Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN) und arbeitet als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Jena. Hinzu kommt der zeitliche Aspekt: Für eine Diagnose müssen Betroffene mindestens ein halbes Jahr der Überzeugung sein, eine schwere Erkrankung zu haben. „Die Patienten weigern sich, die Diagnosefreiheit zu akzeptieren und schieben immer neue Untersuchungen an.“
Die möglichen Ursachen der Angststörung
Warum manche Menschen eine derartige Angststörung entwickeln, ist noch nicht vollständig erforscht. Aber es gibt verschiedene Theorien. Womöglich spielen genetische Einflüsse eine Rolle. Gleiches gilt für den Erziehungsstil und frühe Erfahrungen mit Krankheiten. Auch eine unsichere Bindung zu den Eltern im ersten Lebensjahr kann zur Entstehung einer Krankheitsangststörung führen.
Oft seien Menschen betroffen, in deren Umfeld sich schwere Erkrankungen häufen, sagt Timo Slotta. Auch bestimmte Denkstile spielen eine Rolle: Menschen mit Krankheitsangststörung befürchten häufig, durch ihre Gedanken oder ihr Verhalten die Entstehung von Krankheiten zu provozieren.
Die Schwierigkeit der Diagnose
Zwar gibt es für die Diagnose festgelegte Kriterien. Sie zu stellen, ist aber nicht so einfach: „Es ist eine sehr versteckte Erkrankung“, sagt Sabine Köhler. „Denn die Betroffenen drängen zwar auf eine Diagnose, aber auf die einer körperlichen Erkrankung. Von einer psychischen Störung wollen viele nichts wissen.“
Hier seien auch die Hausärzte gefragt, so Köhler: Wer pro Quartal ohne deutliche Beeinträchtigung fünf unterschiedliche Überweisungen für verschiedene fachärztliche Untersuchungen brauche, der könnte aus ihrer Sicht tatsächlich vielleicht eher einer psychiatrischen oder psychosomatischen Untersuchung zugeführt werden und ist in einer psychotherapeutischen Behandlung womöglich gut aufgehoben
„Krankheitsangst ist gut behandelbar“, sagt Timo Slotta. Zwischen zwei Drittel und vier Fünftel der Betroffenen profitieren nach seinen Angaben von einer Psychotherapie, bei einer medikamentösen Behandlung ist es etwa die Hälfte.
„Eine Psychotherapie ist belastend und anstrengend, keine Frage“, sagt Slotta. Bei Medikamenten aber wirke die Behandlung nur so lange, wie man sie auch einnimmt. „Das ist bei Psychotherapie anders.“