Die deutschen Fans erlebten am Freitagabend eine mitreißende Fußballparty. Es war eine Leistung des Kollektivs – bei dem doch einzelne Akteure herausragten.
Aus München berichtet Noah Platschko
Es lief die 74. Minute, als sich das Stadion erhob. Thomas Müller stand zur Einwechslung an der Seitenlinie, bereit, sein 130. Länderspiel für Deutschland zu absolvieren. Mit seinem Einsatz gegen Schottland ist der Spieler des FC Bayern mit Lukas Podolski gleichgezogen, doch das interessierte am Freitagabend niemanden.
Und auch die stehenden Ovationen galten nicht dem langjährigen Fan-Liebling Müller, sondern seinem Mannschaftskollegen. Unter tosendem Applaus des ausverkauften Stadions in München verließ Jamal Musiala den Platz.
Der 21-Jährige hatte soeben sein wohl bestes Spiel im Dress der Nationalmannschaft gemacht. Sein Tempo, seine Qualitäten im Dribbling, sein Auge für die besser postierten Spieler. Musiala spielte vor „seinem“ Heimpublikum groß auf. Ein lächerlich guter Auftritt. Ob es das Spiel seines Lebens war, wollte ein Reporter auf der Pressekonferenz nach dem Match von ihm wissen. „Kann man so sagen. Ich bin happy, dass wir so viele Tore geschossen haben“, fiel die Antwort des gebürtigen Stuttgarters gewohnt nüchtern aus.
Möglicherweise mitentscheidend für die starke Leistung des Mittelfeldspielers: sein Treffer nach nur 19 Minuten. Ein strammer Rechtsschuss fast vom Elfmeterpunkt, der unter der Latte einschlug. Ein Schuss ins Glück, denn fortan gelang Musiala nahezu alles, was ihm die Auszeichnung zum Spieler des Spiels sowie die t-online-Note 1 bescherte (die komplette Einzelkritik finden Sie hier).
Zuvor war der Außenstürmer, der doch so gerne in die Mitte zieht, ein-, zweimal hängen geblieben. Doch er steckte nicht auf und belohnte sich früh, sodass die anfänglichen Probleme gegen tief stehende Schotten schnell vergessen waren. Es mutet grotesk an, dass jener Musiala noch vor gut eineinhalb Jahren beim WM-Eröffnungsspiel gegen Japan vor dem Tor verzweifelt war, beim euphorischen Auftakt gegen Schottland dagegen nur ein einziges Mal aufs Tor schoss – und nun prompt traf.
„Über die WM dürfen wir nicht viel nachdenken. Da sind die Bälle nicht reingegangen, heute schon. Ich versuche immer positiv zu bleiben und mich nicht von dem stören zu lassen, was in der Vergangenheit war“, bilanzierte Musiala auf t-online-Nachfrage.
Routinier Müller freute sich für den Nachwuchs: „Unsere Wusiala-Connection brauchte auch mal den Befreiungsschlag, dass sie wissen, dass sie nicht nur gut sind, sondern auch Dinge machen können, die das Ergebnis verändern. Ich hoffe, es gibt ihnen Selbstvertrauen.“
Wusiala, das sind Florian Wirtz und Jamal Musiala. Beide 21 Jahre alt, beide große Hoffnungsträger vieler Deutschland-Fans. Allerdings, und das betonte auch der Bundestrainer nach Abpfiff, war es eine im Kollektiv gute Leistung gegen an diesem Abend extrem schwache Schotten, die die komplette zweite Halbzeit in Unterzahl antreten mussten.
„Es ist sehr wertvoll, dass unsere Spieler Selbstvertrauen getankt haben. Und es ist wertvoll, dass nicht nur einer die Blumen kriegt. Auch für İlkay, der ein super Spiel gemacht hat, hat es mich sehr gefreut“, lobte Nagelsmann nach Abpfiff Kapitän İlkay Gündoğan.
Der „Bessermacher“, wie Gündoğan sich selbst nach Abpfiff noch einmal bezeichnete, konnte endlich auch im Nationaldress das zeigen, was ihn auszeichnet. Insbesondere vor dem 2:0 ließ der Barcelona-Spieler seine komplette Brillanz aufblitzen, sowohl bei der Ballmitnahme als auch beim darauffolgenden Pass zu Kai Havertz. Nach mehreren unglücklichen Auftritten im DFB-Dress ein wichtiges Zeichen. Die Diskussion darüber, ob der Kapitän in die Startelf gehört, dürfte nach dem Freitagabend fürs Erste beendet sein.