Die Zahl der jungen Menschen, die weder arbeiten noch zur Schule gehen oder studieren, steigt seit zwei Jahren, wie eine Studie zeigt. Gleichzeitig sind Zehntausende Ausbildungsplätze unbesetzt. Wie kann das sein?
Sie sind in einem Alter, in dem es endlich losgehen könnte mit dem eigenständigen Leben: Schulabschluss, Ausbildung oder Studium, Einstieg in den Beruf. Doch tatsächlich machen sie nichts von alledem. Die Rede ist von jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die weder in einem Beruf arbeiten noch zur Schule gehen, studieren oder eine Ausbildung machen: NEETs (Not in Employment, Education or Training) werden sie auch genannt.
Jahrelang ist ihre Zahl gesunken. Noch 2009 gab es 920.000 von ihnen, Anfang 2022 nur noch 538.000, damals hatte die Zahl nach einem kurzen Anstieg in der Corona-Zeit wieder abgenommen. Doch seit zwei Jahren steigt die Zahl der NEETs nun wieder. Aktuell liegt sie bei 626.000, das sind 7,5 Prozent aller Jugendlichen in dieser Altersgruppe, wie eine Auswertung der Bertelsmann-Stiftung aktueller Statistiken und Studien zeigt, die t-online exklusiv vorliegt.
Europaweit liegt Deutschland damit zwar noch im unteren Drittel. Doch angesichts von mehr als 70.000 unbesetzten Ausbildungsplätzen – so vielen wie noch nie zuvor – erstaunt dieser Anstieg. Zumal das nur die offiziellen Zahlen sind – also Ausbildungsplätze, die die Betriebe auch bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet haben. Hinzu kommt: Fast jeder fünfte Mensch im Alter zwischen 20 und 34 Jahren hat keinen Berufsabschluss. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) klagt: „Angesichts eines dramatisch hohen Fachkräftemangels können wir uns das nicht mehr leisten.“
Schnell ist von fehlender Arbeitsmoral und der faulen Jugend die Rede. Doch wie erklärt sich der Anstieg? Liegt er tatsächlich an einer Generation, die nicht mehr leistungsbereit ist und lieber chillt statt schafft?
Wer Caroline Schnelle danach fragt, hört am Telefon zunächst ein tiefes Einatmen: Die Ausbildungsexpertin der Bertelsmann Stiftung findet Pauschalisierungen über NEETs alles andere als zielführend. „Diese Gruppe junger Menschen ist sehr heterogen“, sagt sie. „Und genauso verschieden sind auch die Gründe, warum ihre Zahl aktuell steigt.“
Tatsächlich finden sich sehr unterschiedliche junge Menschen unter den NEETs. Etwa jene, die gerade eine Ausbildung oder ein Studium beendet haben und auf der Suche nach einer Anstellung sind. Oder jene, die nach der Schule erst einmal eine Pause einlegen, weil sie sich noch orientieren wollen, wie es für sie weitergeht. Viele in diesen beiden Teilgruppen nehmen nach einer gewissen Zeit tatsächlich eine Stelle an, beginnen ein Studium oder eine Ausbildung.
Sorgen bereiten Arbeitsmarktexperten aber vor allem zwei Teilgruppen: Diejenigen, die tatsächlich zu lange orientierungslos sind und auch nach einem Jahr noch nicht wissen, wie es weitergeht. Und jene, die aufgrund von niedrigen Bildungsabschlüssen zwar grundsätzlich auf der Suche nach einer Stelle sind, diese aber nicht finden.
Aktuell sieht Schnelle einen Hauptgrund für den Anstieg der NEETs-Zahlen in der Konjunkturschwäche der Wirtschaft. Trotz eines Überangebots an Ausbildungsplätzen insgesamt führe sie dazu, dass es in einigen Regionen mehr Bedarf als Plätze gibt. Zwar traf das auf einige Regionen auch schon vorher zu. Doch die Wirtschaftslage hat das noch verschärft. „Etliche Jugendliche, die eine bestimmte Ausbildung machen wollen, finden daher ausgerechnet diese nicht bei sich in der Gegend“, sagt Schnelle.
Dass es einen Zusammenhang zwischen dem Angebot von Ausbildungsplätzen und der Anzahl von NEETs geben könnte, zeigt sich auch in der sogenannten Angebots-Nachfrage-Relation von Ausbildungsplätzen. In Bundesländern, in denen es pro 100 Ausbildungsplatzsuchenden deutlich weniger Plätze gibt, ist die Zahl der NEETs hoch – etwa in Berlin. Gibt es dagegen deutlich mehr freie Ausbildungsplätze als Ausbildungsinteressierte, ist dort auch die Zahl der NEETs geringer, wie in Bayern oder Sachsen. Allein im vergangenen Jahr gingen bundesweit mindestens 60.000 Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchten, leer aus.