Die Grünen müssen ein miserables Ergebnis bei der Europawahl verarbeiten. Die Parteispitze warnt vor schnellen Konsequenzen. Einige Grüne aber wollen genau die.
Wer sich an diesem Montag auf die Suche nach guter Laune gemacht hat, der war bei der Pressekonferenz der Grünen am falschen Ort. Wer Antworten suchte, war dort genauso verkehrt. Dabei gibt es genug Fragen, die sich nach den miserablen 11,9 Prozent bei der Europawahl für die Grünen stellen. Woran lag’s? Und wie könnte es wieder besser für sie werden? Um nur zwei der naheliegendsten zu stellen.
In der Grünen-Parteizentrale sagt ein sichtlich geknickter Parteichef Omid Nouripour dann zwar gleich zu Beginn, das Ergebnis sei „ein Auftrag an die Bundesregierung, dass wir Vertrauen zurückgewinnen müssen“. Das mit dem Vertrauen wiederholt die ebenso geknickte Parteichefin Ricarda Lang später und ergänzt: „Es kann kein ‚Weiter so‘ geben.“ Auch für die Grünen nicht, meint sie damit.
Doch was heißt das genau? Darüber will die Grünen-Spitze am Tag nach der Wahl noch nicht sprechen. „Wir haben heute nicht die einfachen Antworten, die schnellen Erklärungen“, sagt Lang. „Wir werden uns die Zeit nehmen, die wir brauchen, um das auszuwerten.“ Das solle „zügig und gründlich“ geschehen, verspricht Nouripour, was keine sonderlich exakte Zeitangabe ist.
Dabei wird in Partei und Fraktion natürlich längst munter diskutiert. Wer an diesem Montag in der Partei herumtelefoniert, hört von einem „Warnschuss für uns Grüne“, von einer „Klatsche“, einem wahlweise „beängstigenden“ oder gleich „furchtbaren Ergebnis“. Es gibt Grundsatzkritik an der strategischen Ausrichtung der Partei. Selbst die Parteichefs werden jetzt infrage gestellt.
Der Druck wächst, auch radikale Veränderungen zu wagen. Nur welche sollen es sein?
Immerhin eine Sache gibt es, auf die sich die Grünen einigen können an diesem Tag: Die Strategie der Wahlkampagne hat nicht funktioniert. Der Plan war, angesichts der schwierigen grünen Ausgangslage die Kernwählerschaft zu mobilisieren, ohne in einen reinen Klientelwahlkampf zu verfallen, mit dem man die Mitte noch weiter verschreckt. Denn die wollen die Grünen spätestens zur Bundestagswahl wieder ansprechen.
Das Ergebnis: Die Grünen haben offenbar beides verloren, linke Kernwähler und die Mitte. Vorläufige Daten zur Wählerwanderung, die nun auch in der Partei diskutiert werden, zeigen: Einen großen Brocken hat sie an die Union verloren, einerseits. Und auf der anderen Seite sind viele andere Menschen entweder gar nicht mehr wählen gegangen oder haben linksliberale Kleinparteien wie Volt oder die Tierschutzpartei gewählt.
Statt das Beste aus beiden Welten zu vereinen, haben die Grünen also das schlechteste bekommen.
Bei den Grünen führen solche Niederlagen regelmäßig zur Frage aller strategischen Grünen-Fragen: Sind sie in der Regierung zu pragmatisch geworden? Oder sind sie noch nicht pragmatisch genug?
Im eher linken Parteispektrum lautet die Antwort auf diese Frage auch dieses Mal: Jetzt einfach noch mehr Pragmatismus, das werde auch nichts helfen. Das zeigten schon die Nichtwähler und die Volt-Wähler. Und das zeige eben auch die SPD. Ihr harter Migrationskurs, mit einem Kanzler, der „in großem Stil abschieben“ wolle und neuerdings auch nach Afghanistan, habe der SPD ihr historisch schlechtes Ergebnis beschert. So das Argument.
Andere wiederum wollen genau das: mehr Pragmatismus, mehr Realismus, gerade bei Migration und Islamismus. „Wir sollten uns fragen, wie wir wieder als pragmatische Kraft wahrgenommen werden, der man das Land anvertrauen möchte“, schreibt Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz schon am Wahlabend auf der Plattform X. Es müsse darum gehen, „wie wir auch bei schwierigen Themen wie Migration oder Islamismus proaktiv Lösungen anbieten können“.