Die Keupstraße in Köln-Mülheim zeigt 20 Jahre nach dem schweren Nagelbomben-Attentat ein beeindruckendes Miteinander.
Neulich hat ein Arzt bei „Meral Deko“ in der Kölner Keupstraße angerufen. Ein biodeutscher Arzt, der um die Hand seiner türkischstämmigen Freundin anhalten wollte. „Er hatte null Ahnung, was man alles braucht“, lacht Dilara, die als Verkäuferin in dem Geschäft für Hochzeitszubehör arbeitet. „Deshalb hat er gefragt: ‚Könnt ihr mir helfen?'“ Und ja, das konnten sie. Dilara ist bei der Gelegenheit mal wieder aufgefallen, dass sich beide Kulturen – die türkische und die deutsche – in ihren Augen immer weiter vermischen. 20 Jahre nach einem rechtsextremen Anschlag in der Nachbarschaft ist das keine Selbstverständlichkeit.
In der Keupstraße im Stadtteil Mülheim hatten die beiden NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 9. Juni 2004 eine mit Nägeln gefüllte Bombe gezündet. Durch die Explosion wurden 22 Menschen verletzt, einige lebensgefährlich. Die Polizei vermutete die Urheber der Tat danach lange Zeit in der türkischen Community. In Richtung Rechtsextremismus wurde nicht ermittelt. Erst nachdem Mundlos und Böhnhardt 2011 tot aufgefunden worden waren, wurde deutlich, dass die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ für die Tat verantwortlich war.
Multikultureller Charakter der Keupstraße blieb erhalten
Ab 2000 verübte der NSU jahrelang unerkannt zehn Morde in ganz Deutschland. Opfer waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Zu den Tätern gehörte neben Mundlos und Böhnhardt auch Beate Zschäpe, die 2018 vom Münchner Oberlandesgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde.
Im Rückblick von 20 Jahren lässt sich eines feststellen: Falls die Rechtsterroristen den multikulturellen Charakter der Keupstraße zerstören wollten, falls es ihr Ziel war, Bevölkerungsgruppen dauerhaft gegeneinander aufzustacheln, so ist ihnen das nicht gelungen. Die Straße, in der sich seit Jahrzehnten türkische Restaurants und Geschäfte konzentrieren, wirkt heute offener und einladender als vor 20 Jahren. Man kommt jetzt schnell mit allen möglichen Leuten ins Gespräch.
„Irgendwann muss man auch mit dem Vergangenen abschließen“
Einer der ältesten Läden ist die Feinkonditorei Özdag, geführt von sieben Geschwistern. Ihr Vater, Hasan Özdag, kam 1971 mit nur einem einzigen Koffer aus der Türkei nach Deutschland. Anfangs verkaufte er Hefe-Kringel an Haustüren mit türkischen Namen auf dem Klingelschild, später gründete er das Geschäft. Mittlerweile ist die Konditorei bekannt für ihre mehrstöckigen Hochzeitstorten, die schon lange nicht mehr nur an türkische Hochzeitsgesellschaften geliefert werden, sondern auch zu vielen anderen Anlässen. Manche Kunden bestellen Torten, auf denen in zehn verschiedenen Sprachen „Herzlichen Glückwunsch“ steht.
Mitinhaberin Hülya Özdag sagt, dass sie kaum noch an das Fahrrad mit der Nagelbombe denkt, wenn sie die Straße entlanggeht. „Irgendwann muss man auch mit dem Vergangenen abschließen“, ist ihre Überzeugung. „Ich finde schon wichtig, dass nicht in Vergessenheit gerät, was passiert ist und wie das Ganze aufgearbeitet worden ist, dass das alles nicht so gelaufen ist, wie man es sich gewünscht hätte. Aber ich finde, man sollte sich über das Hier und Jetzt Gedanken machen.“ Damit meint sie insbesondere den Höhenflug der AfD.
Neuauflage des Kulturfestivals „Birlikte – Zusammenstehen“ geplant
Meral Sahin, die Inhaberin von „Meral Deko“, ist seit elf Jahren Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße, in der sich die ortsansässigen Geschäftsleute zusammengeschlossen haben. In ihren Augen hat der Erfolg der AfD ein Gutes: Es könne jetzt niemand mehr bestreiten, dass es auch in Deutschland ein Problem mit Rassismus gebe. „Viele deutsche Freunde haben das lange verleugnet. Jetzt ist es sichtbar. Für alle. Und das ist eine Chance für uns, gemeinsam dagegen zu agieren.“
Ein solches gemeinsames Agieren war vor zehn Jahren das Fest „Birlikte – Zusammenstehen“. Zehntausende kamen damals – nicht nur, um des Anschlags zu gedenken und über Rassismus zu diskutieren, sondern auch, um Toleranz und Offenheit zu feiern. „Wir haben dadurch gelernt, dass Begegnung das Wesentliche ist, was hilft“, sagt Sahin. „Wenn sich Mensch und Mensch gegenübersitzen und miteinander ins Gespräch kommen, dann ist das nachhaltig.“ Am 20. Jahrestag des Anschlags soll es eine Neuauflage des Kulturfestivals geben, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will kommen.