Krah ist ihnen nicht nur nahe gekommen, er hat sie nach Brüssel und Berlin gebracht, in die Schaltzentralen der Macht. Seit 2019 sitzt Krah bereits im EU-Parlament – und sein Büro hat sich in dieser Zeit einen einschlägigen Ruf erarbeitet.
Parteikollegen beschreiben manche von Krahs Assistenten als „Blut- und Kettenhunde“: Sie kommunizieren in die Partei hinein, als roh und brutal gilt ihr Stil, Gegner würden hemmungslos niedergemacht. Andere sind für die Kommunikation ins Ausland zuständig, für die Kontaktpflege hin zu Diktaturen. Der chinesischstämmige Jian G. übernimmt dabei China, der Franzose Guillaume P. bis 2022 die Pflege pro-russischer Kontakte.
Sie organisieren Reisen für Krah, planen Konferenzen und Diskussionsrunden, auf denen Krah die ausländischen Regime lobt und aggressive Expansionspläne als reine Verteidigung gegen den Westen verharmlost. Desinformationsportale verbreiten Krahs Botschaften im Ausland.
Doch Krah hat hier womöglich eine Grenze zu viel überschritten. Ermittler beobachten die Aktivitäten seines Büros schon lang, im April schreiten sie ein. Jian G. sitzt seither in Untersuchungshaft, der Vorwurf: Spionage für China, ein besonders schwerer Fall.
Auch das Büro von Guillaume P., der inzwischen bei einem anderen Abgeordneten arbeitet, wird durchsucht, es geht um den Verdacht von Korruption, Propaganda, Einmischung im Sinne Putins Russland. In beiden Fällen wird Krah Medienberichten zufolge verdächtigt, Geld von seinen Assistenten erhalten zu haben, das womöglich aus dem Ausland stammen könnte.
Krah wechselt vom Angriffs- in den Verteidigungsmodus, wird vom Boxer zum Schachspieler – und opfert seine Bauern kalt. Er distanziert sich von G. und P., weist alle Vorwürfe von sich. G. fordert er sogar rasch zum Austritt aus der AfD auf, obwohl noch immer die Unschuldsvermutung gilt, die in der AfD sonst ein so hohes Gut ist.
Krahs ehemaliger Assistent Guillaume P. aber setzt an dem Morgen, als sein Büro durchsucht wird, einen Post auf Facebook ab, der seitdem in AfD-Kreisen kursiert: „Derjenige ist kein guter Mensch, der ohne Widerspruch zulässt, dass in seinem Namen Unrecht begangen wird“, heißt es da.
Mittelfinger an die Parteispitze
Für die Parteispitze in Berlin ist ihr Spitzenkandidat nun ein massives Problem. Doch sie gibt sich kaum Mühe, ihn zu maßregeln und zu kontrollieren. Sie weiß, dass sie scheitern wird, an Krahs Starrköpfigkeit und der Macht seiner Unterstützer. Weidel und Chrupalla wollen sich die öffentliche Blamage ersparen.
Nach G.s Festnahme verordnet der Bundesvorstand dem Spitzenkandidaten zwar kurzzeitig Auftrittsverbot – der aber feiert schon ein paar Tage später sein Comeback. Und zwar im Krah-Stil: Mit einem Jaguar fährt er im bayerischen Holzkirchen vor, zwei russischsprachige Models umrahmen ihn, die eine hält eine Deutschland-, die andere eine AfD-Flagge.
Krah will sich als „Mad Max“ inszenieren, als heldenhafter Kämpfer in einer dystopischen Welt. Die Lederjacke ist alt und sitzt schlecht, das Auto ist geliehen, nur 50 Zuschauer sind gekommen – egal, Hauptsache ein paar Fernsehsender sind auch da.
Und wieder stammt die Idee von Krahs engsten Mitstreitern: Maßgeblich organisiert und beworben wird sein Comeback von Jurij Kofner. Der bayerische AfD-Funktionär lebte und studierte jahrelang in Moskau, schüttelte bei Veranstaltungen auch Außenminister Lawrow die Hand, gründete in Deutschland ein pro-russisches Institut. Dessen Ziel: die „Befreiung Europas von der US-amerikanischen Hegemonie“. Eng kooperierte Kofners Institut in der Vergangenheit mit der Kubitschek-Schmiede und Kräften der „Identitären Bewegung“.
Den Partnern reißt der Geduldsfaden
Während die AfD-Spitze schweigt, reißt ihren internationalen Partnern der Geduldsfaden. Auslöser ist ein Interview, in dem Krah die SS verharmlost. Bei vielen europäischen Rechten kommt das nicht gut an, zu brutal hat die SS in Europa gewütet. Zu weit geht ihnen Krah, das hemmungslos selbstbewusste Auftreten des AfD-Spitzenkandidaten. Aber auch in anderen Punkten kommt man schon lange nicht mehr mit der AfD überein, die Außenpolitik zählt dazu.
Erst kündigt Marine Le Pen, die Grande Dame der französischen Rechten, der AfD die Zusammenarbeit im EU-Parlament auf. Seit Jahren schon steht sie mit Krah auf Kriegsfuß, auch viele in ihrer französischen Delegation kommen nicht mit ihm zurecht. Die italienische Lega zieht nach. Es folgt: der Rauswurf der AfD aus der Rechtsaußen-Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID).
Es ist ein fatales Signal für die AfD-Spitze kurz vor der Europawahl. Komplett ohne Partner steht sie nun da. Doch wieder greift sie nicht durch, Krah darf die Konsequenzen selbst ziehen und sein Gesicht wahren: Er zieht sich aus dem Bundesvorstand zurück, verkündet, nicht mehr im Wahlkampf auftreten zu wollen.
Der Plan von der „Hooligan-Fraktion“
Es dauert nicht lange, bis Krah erneut wortbrüchig wird und sich in Dresden an einem Wahlkampfstand zeigt – begleitet von Kameras des „Deutschlandkuriers“. Es ist ein ausgestreckter Mittelfinger an die Parteispitze, der Geist von Riesa: Schaut her, wer die Stärkeren sind. Ich tue, was ich will.
Der Bruch mit den Koalitionspartnern im EU-Parlament ist das, was Kubitschek, Höcke und Krah sich für die AfD schon lange wünschen: Raus aus den Kooperationen mit den französischen und italienischen Rechten, die sich in den vergangenen Jahren gemäßigt haben, um Aussicht auf höhere Zustimmung und Regierungsmacht zu erhalten.
Krah hat darüber bereits mit Verbündeten geredet, ihm schwebt die Neubildung einer Fraktion mit anderen Parteien im Parlament vor. „Hooligan-Fraktion“ nennt er das Konzept angeblich in aller Deutlichkeit. „Resterampe“ nennen es die Kritiker in der Partei. Denn die Größe der Fraktion sei entscheidend im EU-Parlament. Die „Resterampe“ bedeute Fundamentalopposition, de facto den Verlust jeder Gestaltungsmacht im EU-Parlament, das Verschwinden im Abseits, klagen sie.
Es formiert sich Widerstand
Doch inzwischen formiert sich Gegenwehr unter den künftigen AfD-Abgeordneten in Brüssel. Krah ist vielen zu weit gegangen, man will sich von ihm nicht als eine der mitgliederstärksten Delegationen im rechten Spektrum des EU-Parlaments in die Bedeutungslosigkeit verbannen lassen.
In aller Ernsthaftigkeit wird diskutiert, Krah nicht in die AfD-Delegation aufzunehmen und Le Pen so zu besänftigen, um zurück in die ID kehren zu können. Wie sicher die Mehrheiten unter den Abgeordneten in spe dafür aber sind, ist zurzeit noch unklar. Um Krahs Einfluss zu schmälern, mehr Kontrolle auszuüben, will man die Gründung der Delegation deswegen womöglich in Berlin vollziehen statt in Brüssel.
Der Plan: Krah soll geopfert werden, um die AfD in der ID zu retten.
Krah bliebe das Mandat im EU-Parlament, ein hohes Gehalt, seine Mitarbeiter. Doch dieser Schritt würde seinen Sturz in die Irrelevanz bedeuten. Krah selbst sieht aber angeblich Chancen, das noch zu verhindern: „Es gibt Gegenwind, aber auch sehr viel Unterstützung. Das ist wie immer nicht eindeutig“, behauptet er im Gespräch mit t-online am Montag.
Der Wahlkampf sei anders verlaufen, als erwartet, räumt er ein. „Die Intensität der Attacken hatten wir so nicht erwartet.“ Er zieht aber eine durchaus gemischte Bilanz: „Im Wahlkampf wurde über keine Partei so viel geredet wie über uns. Und die Mobilisierung der Jugend ist geschafft.“ Den Rest müsse das Wahlergebnis zeigen.
Sogar mancher Krah-Kritiker zweifelt daran, dass sein Ende schon besiegelt ist. Zu oft sei Krah schon tief gefallen und doch wiedergekehrt, zu oft habe er ein Sprichwort wahr gemacht: Totgesagte leben länger.