Die Ampel steht vor einem gigantischen Haushaltsloch und könnte im Streit daran zerbrechen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert über harte Verhandlungen, fatale Fehler – und eine Warnung an Finanzminister Lindner.
Einst ein Parteirebell, heute ein Architekt der Macht: SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat sich in zwei Jahren vom härtesten Scholz-Kritiker zu einer wichtigen Stütze für den Kanzler gewandelt. Sein Job ist schwieriger geworden, gerade jetzt muss er für Ruhe in der Partei sorgen: Die FDP rüttelt am Ampelfrieden und der Haushalt droht zur Schlammschlacht zu werden.
Ganz aktuell jedoch kämpft Kühnert nicht nur gegen aufmüpfige Liberale, sondern vor allem gegen die Pollen. „Ich werde gerade von allem attackiert, was hier rumfliegt“, sagt er vor Beginn des Interviews. Kühnert empfängt in der 5. Etage des Willy-Brandt-Hauses, vorbei am rauchenden Kopf von Helmut Schmidt, hinein in den SPD-Präsidiumssaal an den langen, ovalen Tisch. Er neckt die Journalisten, weil sie sich zunächst nichtsahnend auf die Stühle der Parteivorsitzenden setzen. Sitzt er da bald mal? Kühnert winkt ab und grinst.
Trotz Heuschnupfen ist Kühnert im Gespräch mit t-online in Angriffslaune – insbesondere mit Blick auf den Koalitionspartner: Der SPD-Generalsekretär geht vor allem mit Finanzminister Lindner hart ins Gericht. Zudem verrät er, wie Scholz und Pistorius hinter den Kulissen miteinander reden – und ob der Kanzler im Haushaltsstreit 2025 doch noch auf ein Aussetzen der Schuldenbremse schielt.
t-online: Herr Kühnert, können Sie sich noch einen Reim auf Ihren Kanzler machen?
Da wäre zum Beispiel die Schuldenbremse: Seit Monaten kämpft die SPD dafür, die Schuldenbremse 2025 auszusetzen. Jetzt hat ausgerechnet der SPD-Kanzler das Thema mit einem Satz abgeräumt. Blicken Sie da noch durch?
Den Satz muss ich verpasst haben. Der Kanzler hat lediglich die technischen Abläufe beim Haushalt dargestellt. Zu diesen gehört, dass jedes Ressort dazu verpflichtet ist, auch im eigenen Haus Einsparungen zu erbringen. Und dass gegenfinanziert sein muss, was ausgegeben werden soll. An dem Punkt sind wir noch nicht. Er hat aber nicht gesagt, dass die milliardenschwere Haushaltslücke mit Einsparungen alleine bewältigt werden muss.
Der Kanzler sagte wörtlich im Interview mit dem „stern“: „Jetzt ist erst mal Schwitzen angesagt.“ Auch in der SPD haben das viele so verstanden, als würde Scholz auf Lindners Sparkurs einschwenken.
Die entscheidenden Worte sind „erst mal“. Nach meiner festen Überzeugung werden auch nach allen vertretbaren Einsparungen noch Aufgaben übrig bleiben, um die keine Regierung herum kommt. Ich halte es für ausgeschlossen, dass angesichts der Herausforderungen so viel eingespart werden kann, wie vom Finanzminister im Moment verlangt wird, ohne die Gesellschaft dabei zu zerreißen.
Sie sagen „ausgeschlossen“, aber ist es in Wahrheit nicht so, dass der Ampel, allen voran SPD und Grünen, der politische Wille dazu fehlt?
Der aktuelle Haushalt für 2024 beweist ja das Gegenteil. Doch um ein Haushaltsloch dieser Größe zu stopfen, gibt es rechnerisch nur wenige Szenarien: Investitionen sollte niemand in der Ampel stoppen, das wäre fatal. Steuererhöhungen will die FDP bislang nicht, nicht mal für Einkommensmillionäre. Bleiben noch zwei Wege übrig: entweder ein radikaler Sozialabbau, etwa mit Renten-Kürzungen sowie Nullrunden in den nächsten Jahren – das hat in der Koalition und in der Gesellschaft klar keine Mehrheit. Oder eben die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen mithilfe von Krediten.
Im Haushalt 2025 fehlen rund 25 Milliarden Euro. Ob die Ampel am Ende doch noch einmal die Schuldenbremse aussetzt oder nicht: An Einsparungen kommt man nicht vorbei. Mal zugespitzt: Was ist wichtiger, Landwirtschaftsdrohnen in Ruanda oder Fregatten für die deutsche Marine?
Verantwortliche Politik betrachtet das nicht als ein billiges Entweder-Oder. Ich vermute, Sie spielen auf den Finanzminister an, der in den letzten Tagen durchblicken lassen hat, dass er vor allem bei der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe sparen will.
Linder hat die Ausgabenwünsche von Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Außenministerin Annalena Baerbock als „Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen“ bezeichnet.