Wirtschaftsdaten bescheinigen Deutschland zum Jahresende eine Fünf minus. Am Aktienmarkt gibt es eine Zwei plus. Der Markt notiert auf Rekordlevel. Wie ist das möglich?
Stellen Sie sich vor, zum Jahresstart hätte Ihnen jemand prognostiziert, dass Deutschland in der Rezession steckt, der Regierung der eigene, manipulierte Haushalt um die Ohren fliegt und die Energieversorgung nur noch mittels üppiger Zukäufe aus dem Ausland stabil haltbar sein würde. Gleichzeitig hätte man sich zur Vorhersage verleiten lassen, dass der Deutsche Aktienindex Dax – nicht weniger als ein Teil-Abbild deutscher Firmenkultur – auf dem höchsten Level seiner Geschichte notieren würde.
Dieser Widerspruch wäre sofort bemerkt worden, aber am 5. Dezember 2023 ist er eingetreten. Der Dax zauberte ein neues Rekordhoch auf das Parkett, und wer in Aktien investierte, hatte wieder einmal ein gutes Jahr und konnte die Inflation mehr als ausgleichen. „Das Zusammenspiel aus sinkenden Zinsen und fallender Volatilität, gepaart mit der ‚Goldlöckchen‘-Hoffnung, hat für das Kursfeuerwerk gesorgt“, findet die Berenberg-Bank.
2024 ist keine „Gmahde Wiesn“
Ehe man die Erfolgsstory am Markt aber fortschreibt ins Jahr 2024, sei nach einem bayerischen Sprichwort gesagt, dass das kommende Jahr keine „gmahde Wiesn“ ist. „Zum Jahresende haben Prognosen an der Börse immer Hochkonjunktur. Anleger sollten sich jedoch nicht von den Meinungen hochgejubelter Analysten beeindrucken lassen. Gesunder Menschenverstand und Grundkenntnisse erweisen sich oft als bessere Ratgeber“, findet Franz-Georg Wenner vom Analyseportal IndexRadar.
Der Aktienprofi
Daniel Saurenz ist Finanzjournalist, Börsianer aus Leidenschaft und Gründer von Feingold Research. Mit seinem Team hat er insgesamt mehr als 150 Jahre Börsenerfahrung und bündelt Börsenpsychologie, technische Analyse, Produkt- und Marktexpertise. Bei t-online schreibt er über Investments und die Lage an den Märkten, immer unter dem Fokus des Chance-Risiko-Verhältnisses für Anleger. Sie erreichen Daniel auf seinem Portal www.feingoldresearch.de.
Schauen wir aber mal zurück, wie die Börsenperformance der vergangenen 12 Monate überhaupt möglich war. „Seit Jahresbeginn kletterte der Nasdaq 100 um gut 40 Prozent, selbst der marktbreite S&P 500 weist kurz vor Ultimo ein überdurchschnittliches Plus von knapp 20 Prozent auf“, weist Jürgen Molnar, Analyst beim Broker RoboMarkets, die nackten Zahlen aus. Dabei war spätestens für die zweite Jahreshälfte eine Rezession ausgemacht.
Salah Eddine-Bouhmidi vom Broker IG dagegen weist zu Recht darauf hin, „dass die Rallye gerade in den USA eigentlich nur von den glorreichen Sieben getragen wurde, die um 70 Prozent zulegten. Mit den übrigen 493 Werten des S&P 500 war dagegen kaum Geld zu verdienen.“
Stimmung nähert sich dem Jahreshoch
Davon abgesehen überrascht es aber kaum, dass derzeit wieder Optimismus angesagt ist. Die Stimmung der US-Privatanleger nähert sich dem Jahreshoch vom Sommer, jeder Zweite sieht den Aktienmarkt auf Sicht von sechs Monaten höher. Noch deutlicher zeigt sich die 180-Grad-Wende bei den Profis. „Noch Anfang November waren nur 30 Prozent des von institutionellen Anlegern und Hedgefonds verwalteten Vermögens in US-Aktien investiert. Mittlerweile liegt die Quote bei knapp 80 Prozent, große Liquiditätsreserven wurden also abgebaut“, so RoboMarkets-Experte Molnar.
Einfache Mathematik
In den Jahresausblicken für 2024 dominieren daher Zuversicht und fast schon Einigkeit. Eine Zahl, die man immer wieder liest, ist die 5.000 als Zielzone für den S&P 500. „Man kann, wie es die Analysten gerne vorgeben, die runde Marke mit komplizierten Modellen herleiten oder einfach sein Grundschulwissen anwenden und die erwartete durchschnittliche Jahresrendite von rund acht Prozent auf das aktuelle Niveau aufschlagen“, findet IG-Experte Bouhmidi. Doch gerade Börsenneulinge sollten an dieser Stelle aufhorchen. Wenn die Mehrheit an der Börse einem Fahrplan folgt, biegt der Markt meist ab und geht seinen eigenen Weg – siehe 2023.
Wetter- und Börsenprognosen mit Vorsicht zu sehen
Kurszielprognosen auf Sicht von zwölf Monaten sind daher bestenfalls gute Unterhaltung und geben einen Hinweis darauf, wie die Stimmung gerade ist. Wer sich die Mühe macht, die Begründungen zu lesen, bleibt eher ratlos zurück. So haben die Volkswirte der einzelnen Banken sehr unterschiedliche Wachstums- und Zinserwartungen, obwohl sie den Markt bei 5.000 ansiedeln. Die Bank of America sieht Aktiengewinne auch ohne Zinssenkungen, während die Deutsche Bank davon ausgeht, dass die Fed als Reaktion auf das langsamere Wachstum die Geldpolitik lockern wird.
Auch für den Dax lassen sich solche Rechnungen anstellen. Im Gegensatz zu den amerikanischen Indizes sind die europäischen Börsen vergleichsweise günstig bewertet. „Deutsche Blue Chips sind für ein 2024er-KGV von rund zwölf zu haben. Historisch betrachtet ist das trotz der zehnprozentigen Rallye seit Ende Oktober ein echtes Schnäppchen. Erst im Bereich von 19.000 Punkten wäre der Dax zum durchschnittlichen KGV zu haben und damit fair bewertet“, so der RoboMarkets-Experte.