Das Urteil ist gefallen, der Verfassungsschutz darf die AfD als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ beobachten. Eine Klatsche für die Partei. Der AfD könnte nun auch ein Verbotsverfahren drohen.
Es ist ein anschauliches Beispiel, das der Vorsitzende Richter Gerald Buck am Montag in Sitzungssaal 2 des Oberverwaltungsgerichts in Münster verwendet: „Darf die Polizei eine Wohnung betreten, in der ein Rauchmelder vernehmbar Alarm gibt, man also einen Brand vermuten muss, und niemand die Tür öffnet?“, fragt Buck. Obwohl die Wohnung hohen Schutz genieße, laute die Antwort: „Ja“.
Die Polizei in diesem Beispiel ist der Verfassungsschutz. Die Wohnung ist die AfD. Buck versucht mit diesem Bild, ein Urteil von großer Tragweite auch für Nicht-Juristen verständlich zu machen. Ein Urteil in einem Mammutprozess: Seit Mitte März hat die AfD mit dem Verfassungsschutz in sieben teils langen Verhandlungstagen vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster gestritten. Die Partei wollte ihre Einstufung durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall anfechten und verhindern, dass sie weiter mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden darf.
Am Ende aber lehnt das Gericht die Berufungsanträge der AfD ab und entscheidet: Der Verfassungsschutz durfte und darf die AfD als Gesamtpartei sowie die Jugendorganisation „Junge Alternative“ als Verdachtsfall führen, ebenso wie den inzwischen offiziell aufgelösten „Flügel“ als gesichert rechtsextrem. Damit darf der Verfassungsschutz die Partei weiter mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten.
Es ist eine Klatsche, die in der Partei erwartet wurde. Doch auf die Begründung des Gerichts wartet man nicht nur in der AfD gespannt. Schließlich wird in der Öffentlichkeit derzeit so laut wie nie ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD diskutiert.
Ein solches Verbotsverfahren muss von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung angestoßen werden. Das Urteil in Münster könnte der Startschuss für den äußerst komplexen Vorgang sein – die rechtliche Grundlage. Darauf zumindest hoffen die Kritiker der AfD.
Im Bundesamt für Verfassungsschutz sollen laut Medienberichten außerdem bereits Vorbereitungen laufen, die AfD bundesweit noch höher einzustufen – vom Verdachtsfall auf die höchste Stufe „gesichert rechtsextrem“.
„Kein zahnloser Tiger“
„Der Senat war und ist sich der Reichweite seiner Entscheidungen bewusst“, betont Richter Gerald Buck denn auch gleich zu Beginn seiner Urteilsbegründung. Und: „Die Richter handeln und entscheiden nicht politisch, mögen ihre Entscheidungen auch Auswirkungen auf Politik haben.“
Das Grundgesetz mute „uns allen und sich selbst zu“, eine Menge auszuhalten, sagt Buck. Und zwar auch, dass Teile der Gesellschaft Elemente der Verfassung kritisch hinterfragten. Öffentliche Äußerungen könnten gesellschaftlichen Protest oder Empörung beim politischen Gegner auslösen – sie seien aber nicht per se Anlass für eine verfassungsrechtliche Reaktion. Die wehrhafte Demokratie, das Grundgesetz, sei „kein zahnloser Tiger“, sondern aufmerksam und durchsetzungsstark. „Aber sie beißt nur im nötigsten Fall zu und lässt sich auch nicht zu schnell provozieren.“
Die AfD hat aber offensichtlich nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts zu sehr provoziert. Ähnlich wie 2022 bereits das Verwaltungsgericht Köln in erster Instanz kommen die drei vollberuflichen und zwei ehrenamtlichen Richter in Münster zu dem Schluss: Es gebe genügend „hinreichend tatsächliche“ Anhaltspunkte dafür, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien.
Rechtliche Abwertung von Deutschen mit Migrationshintergrund
Die Erklärung des Senats für diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen lässt sich in drei Punkten zusammenfassen. Erstens: Es bestehe der „begründete Verdacht“, dass es den politischen Zielsetzungen „eines maßgeblichen Teils der AfD“ entspreche, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen „rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen“, sagt Richter Buck. Das aber sei eine unzulässige Diskriminierung und mit der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde nicht vereinbar.
Die AfD hatte im Verfahren immer wieder betont, sie wolle gar keine rechtlichen Unterschiede zwischen ethnisch Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund machen. Sie betone lediglich, dass es diesen Unterschied überhaupt gebe, ethnisch und kulturell. Und das müsse erlaubt sein. Tagelang war über diesen Punkt gestritten worden, die AfD hatte Mitglieder der Partei und des Bundesvorstands als Zeugen aufgerufen.