TikTok ist beliebt – und berüchtigt. Auf der chinesischen Kurzvideoplattform verbreiten sich Hass und Desinformation recht ungehindert. Bekommt die EU das ohne ein Verbot in den Griff?
Seit Wochen gibt es in Deutschland Schlagzeilen über chinesische Spionagefälle. Zugleich ist eine App aus China zum beliebtesten sozialen Netzwerk besonders junger Menschen geworden: TikTok. Kritiker befürchten auch hier: Datenspionage. Zu wenig gegen Fake News und Hetze tue die Plattform ohnehin. In den USA droht TikTok mittlerweile ein Verbot.
Und in der EU? Hier soll der Digital Services Act Plattformen wie TikTok dazu zwingen, sich künftig an Recht und Gesetz zu halten. Nur: Reicht das aus? Und was hat die Regulierung von Künstlicher Intelligenz mit alldem zu tun?
Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner hat die neuen Regeln als Parlamentarische Staatssekretärin in Robert Habecks Wirtschaftsministerium mit ausgehandelt. Und fordert die EU-Kommission im Interview mit t-online auf, sie jetzt energisch durchzusetzen.
t-online: Frau Brantner, in Deutschland wird wegen aktueller Verdachtsfälle so viel über chinesische Spionage diskutiert wie lange nicht mehr. Gleichzeitig laden sich gerade alle Parteien und Politiker die chinesische App TikTok herunter, bei der niemand sicher zu sein scheint, was mit den Daten passiert. Ist das nicht schizophren?
Franziska Brantner: Unsere Sicherheitsbehörden warnen schon lange vor chinesischer Spionage und Desinformation. Gleichzeitig dürfen wir relevante Kommunikationsplattformen nicht den Antidemokraten überlassen, wir müssen differenzieren.
Alle Akteure müssen die Aktivitäten Chinas bei der Wirtschaftsspionage, aber eben auch bei Spionage gegen demokratische Prozesse ernster nehmen. Präsident Xi Jinping hat schon 2017 gesagt, Europa sei ein systemischer Rivale.
Wir haben als Bundesregierung mit der China-Strategie einen Dreiklang definiert aus einem China, das zugleich Wettbewerber, Partner und systemischer Rivale ist. Deswegen ist es richtig, dass die Sicherheitsbehörden den Spionagevorwürfen sehr genau nachgehen. Die offensichtliche Nähe wichtiger AfD-Politiker zu Putins Regime und auch zu China ist nicht überraschend, und hier muss offengelegt werden: Woher kam das Geld? Handeln führende AfD-Politiker im Auftrag autokratischer Regime?
Aber noch mal: TikTok nutzen nun trotzdem alle ohne Bedenken vor dem „systemischen Rivalen“?
TikTok ist eine Realität, der wir uns stellen müssen. Es ist eine riesige Plattform, die allein in Deutschland 20 Millionen Nutzer hat. Solange diese Plattform in ihrer jetzigen Form erlaubt ist – und das ist eine berechtigte Debatte –, lautet die Frage: Überlassen wir diesen Raum der AfD und den Demokratiezerstörern? Ich habe mich dazu entschlossen, das nicht zu tun. Aber Vorsicht ist natürlich geboten: Ich nutze TikTok nur auf einem Extra-Handy, auf dem sonst keine beruflichen oder privaten Daten sind.
Zur Person
Franziska Brantner, 44 Jahre alt, ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Dort ist sie für Europapolitik, Außenwirtschaftspolitik sowie Digital- und Innovationspolitik zuständig. Die Grünen-Politikerin ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages, vorher saß sie ab 2009 im Europäischen Parlament.
Sind die Spionagefälle auch für die Bundesregierung noch mal ein Weckruf, den Teil mit dem „systemischen Rivalen“ wirklich ernst zu nehmen? Beim Einstieg der Chinesen am Hamburger Hafen oder der Frage, ob man Unternehmen wie Huawei aus den deutschen Netzen heraushält, gab und gibt es ja unterschiedliche Haltungen der Koalitionspartner.
Die Spionageverdachtsfälle sind in der Tat ein Alarmzeichen! Grundsätzlich sind wir uns einig, es gibt keine Partei in der Ampel, die behauptet, China sei nicht auch ein systemischer Rivale. Wenn es in die Details geht, der Dreiklang also ausbuchstabiert werden muss, kann es trotzdem zu Meinungsverschiedenheiten kommen.
Ihr Parteifreund und Wirtschaftsminister Robert Habeck ist seit Kurzem auch auf TikTok. Vor einigen Jahren hat er Twitter verlassen, weil er Verkürzung und Polarisierung dort für gefährlich hielt. Ist das auf TikTok nicht ein noch größeres Problem?
Die Debattenkultur ist bei X nun noch unerträglicher, als sie damals war, als es noch Twitter hieß. Bei TikTok sind die Mechanismen etwas anders. Aber natürlich gibt es dort auch eine rechtsradikale, verschwörungstheoretische Community. Die EU-Kommission muss alle Plattformen, von X über Telegram zu Tiktok, nun in die Pflicht nehmen und europäisches Recht durchsetzen. Das bedeutet unter anderem: kein Platz auf den Plattformen für Beleidigungen, Verleumdungen, Rassismus und Antisemitismus – genau wie im analogen Bereich. Währenddessen sollten wir Demokratinnen und Demokraten dort aber in den direkten Austausch gehen.
Robert Habeck sagt, ihn habe auch die Studie „Jugend in Deutschland“ zu TikTok bewegt. Die AfD bekommt den Forschern zufolge bei den 14- bis 29-Jährigen mit 22 Prozent die meisten Stimmen. Ein wahnsinniger Anstieg von nur 9 Prozent vor zwei Jahren. Das kann doch nicht nur an TikTok liegen.