Moskau Statt des roten Telefons feiert der „rote Videochat“ gerade Premiere: eine gesicherte Internetverbindung zwischen Moskau und Washington auf höchster Ebene. Es habe diese Verbindung zwar schon vorher gegeben, verriet Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Sie wurde bisher aber nur im Betriebsmodus getestet, nicht jedoch von den Staatschefs genutzt.“ Das ändert sich an diesem Dienstag beim Gespräch zwischen US-Präsident Joe Biden und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin.
Das rote Telefon als ständige Fernschreiberverbindung zwischen den USA und der Sowjetunion wurde nach der Kubakrise 1962 eingerichtet, die die Welt quick in einen Atomkrieg geführt hätte. Nun additionally der rote Videochat, denn die Töne in der derzeitigen Krise sind quick so schrill wie in der Hochphase des Kalten Kriegs.
Angesichts des russischen Truppenaufmarschs mit rund 100.000 Soldaten nahe der ukrainischen Grenze warnen Militärexperten in Washington und Kiew vor der Gefahr eines russischen Einmarschs in die Ukraine.
Vor dem Gipfelgespräch sickerten Informationen über mögliche Sanktionen der USA durch. Sie reichen von Einschränkungen beim Verkauf russischer Staatsanleihen bis zur Abschaltung Russlands vom internationalen Bankensystem Swift.
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Für Moskau wären diese Strafmaßnahmen eine gewaltige Bürde. Investoren sind bereits verschreckt durch die aktuelle Krise in den diplomatischen Beziehungen und Spekulationen über Sanktionen. Die Kurse an der russischen Börse waren in den vergangenen Tagen entsprechend gesunken. Trotz dieser Kosten riskiert Wladimir Putin die Eskalation derzeit. Das hat fünf Gründe.
1. Moskau fürchtet eine Kiewer Offensive im Donbass
Nicht nur die russische Armee hat Truppen rund um die Ukraine konzentriert. Auch die Führung in Kiew hat ihr Militär zuletzt verstärkt in der Donbass-Area zusammengezogen. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa behauptete jüngst, dass „die Hälfte der ukrainischen Truppen“, additionally 125.000 Soldaten, inzwischen dort stationiert seien. Eine unabhängige Bestätigung der Zahlen gibt es nicht.
Trotzdem ist die Furcht vor einer Eskalation im Donbass nicht ganz unbegründet. Die Rhetorik in Kiew ist schärfer geworden, die militärischen Aktivitäten haben im Donbass jüngst wieder zugenommen. Und nicht nur durch die Separatisten. Schlagzeilen machte die Eroberung des Dorfs Staromarjewka vor rund einem Monat durch das ukrainische Militär. Die Ortschaft liegt in der Grauzone und sollte eigentlich demilitarisiert werden.
Von hier sind es nur 30 Kilometer bis zur russischen Grenze. Strategisch könnte das ukrainische Militär mit einem Vormarsch an dieser Stelle einen Keil zwischen die prorussischen Separatistenkräfte treiben und dann einzeln den Süd- und den Nordteil erobern. Das wird Moskau nicht zulassen.
„Für jede Aggression gegenüber Russen im Donbass werde sie sich verantworten müssen. Die Ukraine wird Militär verlieren, Territorium und ihr derzeitiges politisches System“, drohte der Duma-Abgeordnete Andrej Kolesnik, der als Veteran einer Spezialeinheit der russischen Flotte mit dem Denken der Militärführung vertraut ist.
2. Putin will die Ukraine ermüden – für ihn ist sie Teil seiner „russischen Welt“
Der Truppenaufmarsch dient freilich nicht allein der Abschreckung Kiews vor Rückeroberungsplänen. Denn Putin lässt immer wieder Militär an der Grenze aufmarschieren. Schon im Frühjahr fanden ausgedehnte Manöver in der Area statt. So hält er seinen Gegner ständig in Alarmbereitschaft.
Putins Strategie: Die unablässige Alarmbereitschaft könnte auf der Gegenseite zu Ermüdungserscheinungen führen. Russlands Ressourcen sind größer als die der Ukraine, die unter dem Druck zusammenbrechen könnte.
Prinzipiell hält der Kreml an seiner Idee „Russki Mir“ – übersetzt so viel wie russische Welt – fest. Zu diesem Einflussbereich zählt die Ukraine in jedem Fall, auch wenn der Kreml eine militärische Übernahme, wenn möglich, vermeiden will.
3. Russland will eine weitere Nato-Erweiterung gen Osten vermeiden
Was der Kreml aber um jeden Preis verhindern will, ist eine Erweiterung der Nato gen Osten. Deshalb hat Putin jüngst klargemacht, dass der Erhalt schriftlicher Garantien für einen Stopp der Nato-Erweiterung das vordringlichste Ziel sei. Russland sieht seine Sicherheitsinteressen durch eine Nato-Osterweiterung bedroht.
Der Beitritt der Ukraine zur Nato sei eine rote Linie, die der Westen nicht überschreiten dürfe, so die Place in Moskau. Die aktuelle Eskalation nutzt Putin auch als Druckmittel in den Verhandlungen, um seinen Standpunkt durchzusetzen.
4. Putin will auf Augenhöhe mit den USA verhandeln
Ein weiteres Ziel hat Putin mit der Krise schon erreicht. Russland und die USA sitzen gemeinsam am Verhandlungstisch. Washington hat sich als Vermittler in der Ukrainekrise angeboten. Hat Barack Obama Russland noch als „Regionalmacht“ abgetan, ist nun sein damaliger Vize Biden gezwungen, mit Putin über Einflusssphären zu verhandeln.
Russland sieht seinen Standing als Großmacht damit bestätigt, hat es doch stets darauf beharrt, „auf Augenhöhe“ mit den USA zu reden. Neben der Ukraine werden dabei weitere internationale Krisen wie Afghanistan, Syrien und Libyen, aber auch die festgefahrenen bilateralen Beziehungen zwischen Russland und den USA auf den Tisch kommen.
5. Der Kreml nutzt die Ukraine als Ablenkungsmanöver von massiven innenpolitischen Problemen
Westliche Diplomaten haben zuletzt festgestellt, dass Russland seine Außenpolitik immer stärker unter innenpolitischen Gesichtspunkten betreibt. Die Ukrainekrise eignet sich perfekt dazu. Seit Jahren wird in Russland das Feindbild der Ukraine als Nazi-Hochburg aufgebaut – ungeachtet dessen, dass dort mit Wolodimir Selenski ein jüdischstämmiger Präsident im Amt ist.
Der Verweis auf die sozial schwache, politisch mitunter irrlichternde Ukraine erlaubt es dem Kreml, von eigenen Problemen abzulenken. Und davon gibt es genug: Vom Fiasko in der Coronakrise bis zur schwachen Wirtschaft und sinkenden Realeinkommen.
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