Der Finanzminister ist der Meinung, dass in anderen Ländern deutlich mehr gearbeitet wird. Eine neue Studie geht allerdings von Rekordwerten am Arbeitsplatz aus.
Finanzminister Christian Lindner ist der Meinung, dass in Deutschland zu wenig gearbeitet wird. Problem der deutschen Wirtschaft sei nicht ein Defizit an öffentlichen Investitionen, sondern ein Defizit an geleisteten Arbeitsstunden im Jahr, sagte der FDP-Chef am Donnerstag am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds in Washington.
„In Italien, in Frankreich und anderswo wird deutlich mehr gearbeitet als bei uns“, sagte Lindner. Das liege an Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung, der Demografie und auch an ungewollter Teilzeit wegen mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Lindner plädiert daher neben dem Abbau von Bürokratie und steuerlichen Anreizen für Investitionen von Unternehmen auch für Reformen am Arbeitsmarkt.
Viele der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen für eine „Wirtschaftswende“ würden kein Geld kosten, sondern sparten Geld im Staatshaushalt und in den Sozialversicherungssystemen, sagte der Finanzminister. „Wenn Menschen arbeiten oder mehr arbeiten, zahlen sie schließlich höhere Steuern und Sozialabgaben und beziehen weniger soziale Transfers.“
Studie: So viel Arbeit wie noch nie
Lindners Behauptungen steht eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) entgegen. Die abhängig Beschäftigten kamen im vergangenen Jahr auf insgesamt rund 55 Milliarden Stunden. Das sei der höchste Wert seit der Wiedervereinigung. 1991 seien es noch 52 Milliarden Stunden gewesen, auf dem Tiefpunkt 2005 sogar nur 47 Milliarden Stunden. Gleichzeitig sinke aber die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Beschäftigten kontinuierlich.
„Das Gesamtarbeitsvolumen ist vor allem gestiegen, weil immer mehr Frauen erwerbstätig sind“, sagte Studienautor Mattis Beckmannshagen. „Allerdings ist fast die Hälfte der Frauen in Deutschland teilzeitbeschäftigt, obwohl einige gern mehr arbeiten würden. Ihr Potenzial für den Arbeitsmarkt bleibt also teilweise ungenutzt.“ Das führe zu einer im europäischen Vergleich relativ geringen durchschnittlichen Arbeitszeit aller Beschäftigten von 34,7 Wochenstunden, während sie etwa in Spanien bei 37,6 liege.
Lindner hat sich zum Ziel gesetzt, das sogenannte Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft innerhalb von zwei bis drei Jahren zu verdoppeln. Darunter versteht man das Wachstum der Wirtschaft bei normaler Auslastung aller Kapazitäten – also ohne kurzfristige konjunkturelle Schwankungen. Aktuell betrage dieses Potenzialwachstum nicht einmal ein Prozent, vor zehn Jahren habe es dagegen bei 1,5 Prozent gelegen.