Düsseldorf Für seine Strategie hat sich Thomas Rabe von seinen Laufschuhen inspirieren lassen. „Increase 2025“ hat der Bertelsmann-Chef den Zukunftsplan des Gütersloher Familienunternehmens genannt – in Anlehnung an die „Adidas Extremely Increase“, die er bei seinen frühmorgendlichen Joggingrunden trägt. Rabe ist leidenschaftlicher Marathonläufer.
Im vergangenen Jahr hat der Medien-, Dienstleistungs- und Bildungskonzern, den er führt, einen erfolgreichen Dash hingelegt. 18,7 Milliarden Euro setzte das 1835 gegründete Unternehmen um – ein Wachstum aus eigener Kraft von elf Prozent. Unter dem Strich stieg der Gewinn um 58 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro, wie der Konzern am Donnerstag mitteilte. „Es conflict das beste operative Jahresergebnis in der Geschichte von Bertelsmann, es geht in die richtige Richtung“, sagte Rabe im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler führt den Konzern seit zehn Jahren und hat ihn internationaler, digitaler und wachstumsstärker aufgestellt. Unter seiner Ägide stieg der Umsatz von 15,4 auf nun 18,7 Milliarden Euro. Zu den wichtigsten Ertragssäulen zählen die TV-Gruppe RTL, das Buchgeschäft Penguin Random Home und die Servicesparte Arvato.
Beim organischen Wachstum legten alle Bereiche – außer dem strukturell rückläufigen Druckgeschäft – deutlich zu, sie liegen wieder über Vor-Corona-Niveau. Bertelsmann profitierte von einer Erholung der Werbemärkte und Wachstum im Dienstleistungsgeschäft. Zudem gab es hohe Gewinne aus Unternehmensverkäufen.
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Schrittweiser Rückzug aus Russland
Für das laufende Jahr peilt der Konzern vier bis fünf Prozent mehr Umsatz an. Darin sind die Auswirkungen des Ukrainekriegs noch nicht eingepreist. Sie seien noch nicht abschätzbar, so Rabe. Im vergangenen Jahr setzten die Gütersloher 70 Millionen Euro in Russland um – 0,4 Prozent des Konzernumsatzes. „Wir fahren das Geschäft in Russland mit unseren Kunden schrittweise zurück.“
Arvato beschäftigt in Russland 2000 Mitarbeiter und ist seit 25 Jahren dort aktiv. Arvato ist vor allem im Bereich Lieferkette für Firmen aus dem Konsumgüterbereich tätig. „Wir können in Russland nicht von heute auf morgen unsere Lager schließen“, sagt Rabe. „Wir wollen uns verantwortlich gegenüber unseren Mitarbeitenden und Kunden verhalten.“ Ob Bertelsmann künftig Geschäfte in Russland macht, wollte Rabe nicht ausschließen. „Wir müssen schauen, wie sich der grauenhafte Krieg entwickelt und ob es dann noch eine Perspektive in Russland gibt.“
Wegen des geringen Umsatzanteils befürchtet Rabe keine direkten Auswirkungen auf sein Geschäft. Die indirekten Folgen könnten allerdings „erheblich“ sein, wenn Kunden etwa wegen höherer Kosten weniger Werbung buchten. Im März waren die „Werbeschaltungen ein wenig schwächer“, für April sehe es schon wieder besser aus.
Fehlende Werbung dürfte gerade das Geschäft von RTL bremsen. Die TV-Gruppe zählte 2021 zu den Wachstumstreibern von Bertelsmann. Die RTL Group, der Rabe ebenfalls vorsteht, steigerte ihre Umsätze um zehn Prozent auf 6,6 Milliarden Euro – auch weil sich das Werbegeschäft nach der Pandemie wieder erholt hatte. RTL ist 2012 aus dem russischen Markt ausgestiegen, „wir hatten damals schon gesehen, dass der Einfluss des russischen Staates auf die Medien zunimmt“.
Seine journalistischen Angebote baut der Bertelsmann-Chef gerade um. Zu Jahresbeginn ist RTL mit dem Verlag Gruner + Jahr (G + J) fusioniert. Die ersten Führungsebenen seien bestimmt, „diese Kollegen definieren nun die weiteren Strukturen“. Rabe sieht Synergien in Höhe von 100 Millionen Euro. Die ersten plattformübergreifenden Projekte sind angelaufen. Aus der G+J-Plattform Chefkoch.de hat die Redaktion nun auch eine TV-Kochsendung gemacht.
Manche Beobachter sind skeptisch, ob sich der Hamburger Traditionsverlag und der einstige Kölner Trash-TV-Sender zusammenführen lassen. „Es magazine Unterschiede geben, aber beide Unternehmen gehörten vorher schon zu Bertelsmann und sind kulturell verbunden“, so Rabe. Er sei zufrieden, wie sich die Groups gerade finden würden.
RTL plus könnte sich verzögern
Sichtbarstes Ergebnis der Fusion ist die Plattform RTL plus, früher unter dem Namen „TV Now“ bekannt. Bislang ein reines Streamingangebot, sollen Nutzer bald auch Musik und Podcasts hören oder E-Journal lesen können. Ein solches Angebot ist in Europa bislang einzigartig. Die Plattform soll im „Laufe des Jahres“ an den Begin gehen, so Rabe. Bei der Ankündigung im Herbst sprach RTL noch vom Sommer.
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Das Vorhaben sei technisch durchaus anspruchsvoll, räumt Rabe ein. Nutzer sollen passende Empfehlungen mittels Algorithmen medienübergreifend bekommen. „Wir wollen ein Produkt bauen, das den Kundenerwartungen entspricht. Da ist es nicht related, ob wir die Plattform etwas früher oder später starten“, findet er.
Ende Februar zählte RTL plus in Deutschland über drei Millionen zahlende Abonnenten. Der Abstand zu Netflix, das hierzulande nach Schätzungen auf rund elf Millionen Nutzer kommt, ist groß. Rabe sagt: „Es gibt keinen lokalen Streamingdienst, der im Wettbewerb mit Netflix und Amazon Prime eine solche Entwicklung hingelegt hat.“ Man sei sehr zufrieden. Profitabel ist der Dienst aber noch nicht, erst 2026 soll er schwarze Zahlen schreiben – und acht bis zehn Millionen Nutzer zählen. Allein in diesem Jahr plant Rabe, 250 Millionen Euro in das Streaminggeschäft zu investieren – was den operativen Gewinn belasten dürfte.
Der Supervisor verfolgt in Europa die Strategie, in den Ländern starke Bewegtbild-Angebote durch Kooperationen oder Zusammenschlüsse zu schaffen. So versucht Bertelsmann, gegen die globale Konkurrenz anzukämpfen. Die Branche wird im Werbemarkt von den US-Konzernen Google, Meta und Amazon dominiert. Gleichzeitig graben Dienste wie Netflix oder Disney dem linearen Fernsehen Zuschauer ab.
In Frankreich und den Niederladen strebt Bertelsmann eine Fusion von Sendergruppen an, die in der zweiten Jahreshälfte von den Kartellbehörden genehmigt werden könnte. Hierzulande liebäugelt Rabe schon länger mit einem Zusammengehen von RTL mit dem Wettbewerber Professional Sieben Sat 1. Rabe bekräftigte diese Place, sagte aber auch: „Professional Sieben steht aktuell nicht auf der Agenda.“
Einstieg ins Geschäft mit der digitalen Gesundheit
Bis 2023 will Rabe im bestehenden Portfolio weiterwachsen. Ab 2024 plant der CEO den Einstieg in neue Wachstumsfelder. Großes Potenzial sieht er im Bereich digitaler Gesundheit, ohne aber konkret zu werden: „Von digitalen Behandlungsmethoden über Praxismanagement bis Weiterbildung sind viele Facetten denkbar.“ Man werde mit kleineren Investitionen in den Bereich einsteigen und dann Schwerpunkte setzen.
Insgesamt plant Bertelsmann bis 2025 mit weltweiten Investitionen von fünf bis sieben Milliarden Euro. Eine wichtige Rolle spielt die geplante Übernahme der Buchverlagsgruppe Simon & Schuster durch Penguin Random Home. Die weltweite Nummer eins im Buchgeschäft würde dann die Nummer vier übernehmen. Das US-Justizministerium will die Übernahme blockieren, Rabe gibt sich aber zuversichtlich, den Gerichtsprozess zu gewinnen. Es wäre die nächste Etappe auf seinem Dauerlauf mit Bertelsmann.
Sein Vertrag endet 2026, dann wird er 61 Jahre alt sein. Wenn er abtritt, bleibe ihm mehr Zeit für die Dolomiten, frohlockt der Bertelsmann-Chef. Auch da läuft er gern einen Marathon.
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