Bayer Leverkusen liefert ab – oft erst in den letzten Minuten eines Spiels. Eine außergewöhnliche Qualität, die sogar die Gegner fassungslos macht.
Januar 2024, Bundesliga. In der Partie zwischen Augsburg und Bayer steht es bis in die Nachspielzeit 0:0. Dann schießt Exequiel Palacios das 1:0 in der 94. Minute.
Januar 2024, Bundesliga. Nur eine Woche später sieht es in Leipzig nach einem bitteren Tag für das Team von Xabi Alonso aus. Bis zur 62. Minute liegt die Mannschaft hinten, dann trifft Jonathan Tah. Und: In der 91. Minute gelingt Piero Hincapié der Siegtreffer zum 3:2.
Februar 2024, DFB-Pokal. Der VfB Stuttgart führt nach über 60 Minuten mit 2:1. Leverkusen könnte im Viertelfinale ausscheiden. In der 66. Minute gleicht Amine Adli aus. Alles wieder offen. In der 90. Minute schießt Jonathan Tah sein Team ins Halbfinale.
März 2024, Europa League. Qarabağ Ağdam startet im Achtelfinal-Hinspiel gekonnt mit zwei Treffern. In der 70. Minute gelingt Florian Wirtz der Anschluss. Die erste Saisonniederlage für Bayer ausgerechnet gegen den Underdog aus Aserbaidschan? Von wegen. Patrik Schick gleicht in der 90.+2 zum 2:2 aus.
März 2024, Europa League. Das Rückspiel gegen Qarabağ in Leverkusen steht an. Wieder liegt das Alonso-Team hinten. In der 73. Minute macht Jeremie Frimpong den Anschlusstreffer. In der 90. liegt die Mannschaft noch immer zurück. Dann lässt Schick die BayArena mit seinen Toren in der 90.+3 und 90.+7 jubeln – Partie gedreht, 3:2-Sieg.
März 2024, Bundesliga. Alles deutet auf die erste Saisonniederlage der Leverkusener zu Hause gegen Hoffenheim hin. Doch: In der 88. Minute trifft Robert Andrich zum Ausgleich. Nur drei Minuten später in der Nachspielzeit gelingt wieder Schick das Siegtor.
Tuchel ist von den mental starken Leverkusenern genervt
Sieben Pflichtspiele von Bayer Leverkusen, drei verschiedene Wettbewerbe, ein Muster. Bis kurz vor Schluss sah es jeweils nicht nach einem freudigen Ende für die Mannschaft von Xabi Alonso aus. Doch am Ende hat die „Werkself“ die Nase vorn. Und es gibt noch mehr Beispiele für Leverkusener Siege in der Nachspielzeit.
Der Tabellenführer der Bundesliga, der sich am Sonntag gegen Bremen (ab 17.30 Uhr im t-online-Liveticker) vorzeitig mit dem Meistertitel krönen könnte, hat in dieser Saison keines seiner bisherigen 42 Pflichtspiele verloren.
Es gab lediglich fünf Unentschieden, ansonsten nur Siege. Leverkusen besitzt die Last-minute-Qualität. Das bringt selbst den in der Vergangenheit so titelsicheren FC Bayern München auf die Palme.
„Vielleicht hören sie auf, an sich zu glauben. Aber das tun sie nicht“
Bayern-Coach Thomas Tuchel gestand nach der Niederlage gegen den BVB (0:2) am 27. Spieltag, dass der Kurz-vor-knapp-Sieg der Leverkusener gegen Hoffenheim eine gute Stunde zuvor „ein kleiner Stimmungsdämpfer“ vor dem eigenen Anpfiff gewesen sei. Auch Urgestein Thomas Müller bilanzierte: „Leverkusen zeigt keine Schwäche und wir liefern nicht ab. Die enttäuschende Vorstellung gegen den BVB und der Last-minute-Sieg von Leverkusen passen leider erneut in dieses Bild.“
In ein Bild von einem mental starken Leverkusen, das bis zur letzten Minute kämpft, jegliche Dreifachbelastung durch Bundesliga, DFB-Pokal und Europa League gekonnt abzuschütteln weiß und den Siegeswillen quasi eingeimpft bekommt hat. Hoffenheims Trainer Pellegrino Matarazzo: „Nachdem sie den Pfosten und die Latte getroffen hatten, habe ich gedacht: Vielleicht ist heute wirklich unser Tag, vielleicht hören sie auf, an sich zu glauben. Aber das tun sie nicht.“
Leverkusens Verteidiger Jonathan Tah sagte nach der spektakulären Vorstellung gegen Hoffenheim am Karsamstag: „Alle haben gerade diesen Spirit in sich.“ Und er ergänzte: „Wir wussten, wenn wir das eine Tor machen, dann werden wir auch das zweite machen.“
Was nach Selbstverständlichkeit klingt, ist harte Arbeit. Mannschaften wie Union Berlin, Eintracht Frankfurt und der SC Freiburg hatten in den vergangenen Jahren mit Problemen durch die Mehrfachbelastung aus Bundesliga, DFB-Pokal und Europacup zu kämpfen. Freiburg kämpft damit auch in der aktuellen Saison, wie der scheidende Breisgauer Coach Christian Streich erklärte: „Was ich merke, ist, dass diese letzten zwei Jahre im Europapokal außergewöhnlich toll waren. Aber sie waren brutal intensiv mit den vielen, vielen Spielen.“
Leverkusen hingegen scheint diese Belastung wenig auszumachen. Es macht eher den Eindruck, als würde die „Werkself“ ihre Energie aus diesen Last-minute-Siegen ziehen – und das Selbstbewusstsein so von Woche zu Woche steigern. Und dennoch behält sich die Mannschaft eine Bodenständigkeit, die ihr Coach Alonso ebenso vorlebt wie Sportchef Simon Rolfes.