In Umfragen ringt die FDP mit der Fünfprozenthürde. Die Liberalen gehen deshalb in die Offensive – und setzen dabei vor allem auf ein Thema.
Seine Interview-Bilanz kann sich sehen lassen: Volle achtmal stand Christian Lindner seit Anfang März Journalisten verschiedener Redaktionen Rede und Antwort, hinzu kamen mehrere Statements im Fernsehen. Zuletzt saß er am Sonntagabend bei Caren Miosga und hatte zur Primetime nach dem „Tatort“ eine halbe Stunde die ganz große TV-Bühne fast für sich allein.
Lindner, so scheint es, hat dieser Tage besonders viel zu sagen. Zumindest aber: Er hält es für nötig.
Zum Beispiel zum Bürgergeld, für das er „ein Update“ will, zum Beispiel zur schwächelnden Wirtschaft, die eine „Wende“ brauche. Zu Steuersenkungen, die die „arbeitende Bevölkerung“ verdient habe. Oder zur verkorksten Kindergrundsicherung, bei der er die Vorstellung von einer „Bringschuld“ des Staates für „verstörend“ hält.
Zwei-in-eins-Therapie für die Partei
Der Parteichef der FDP ist auf Dauersendung. Und der Grund dafür liegt auf der Hand. Die Liberalen befinden sich – wie so oft in der Mitte einer Legislaturperiode – im Umfragetief. Seit Jahresbeginn pendelt die FDP je nach Wahlforschungsinstitut zwischen 4 und 6 Prozent und damit mal knapp über oder unterhalb der Fünfprozenthürde, die über den Wiedereinzug in den Bundestag entscheidet. Überlebenskampfmodus kann man das nennen. Oder: Todeszone, kurz voraus.
Die vielen Interviews, die markigen Sätze und Überschriften, die Lindner gerade wie am Fließband produziert, haben angesichts dessen System. Sie wirken wie eine Zwei-in-eins-Therapie.
Zum einen sollen sie nach außen das Profil der Partei schärfen, bestenfalls positive Wahrnehmung bewirken, in der Öffentlichkeit, bei potenziellen Wählern. Zum anderen gleichen sie Durchhalteparolen nach innen, Streicheleinheiten für die geschundene Parteiseele. Das Motto: Keine Panik, wir schaffen das, wenn wir zusammenstehen und gemeinsam auf die richtigen Themen setzen.
(Noch) mehr Wirtschaft wagen
So auch an diesem Montagvormittag in Berlin. Reinhardtstraße 14, Hans-Dietrich-Genscher-Haus, FDP-Parteizentrale. Gerade hat das Präsidium der Partei getagt, der engste Führungszirkel, dem neben Lindner selbst weitere elf Mitglieder angehören. Einer von ihnen ist Partei-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der nach der Sitzung zusammen mit der Europaspitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann vor die Kameras tritt – und sogleich das Thema anspricht, auf das die FDP jetzt ganz besonders setzt:
„Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagt er in bestem oppositionellen Duktus und als ob die FDP nicht seit gut zwei Jahren die Geschicke das Landes in der Regierung lenkt. „Die wirtschaftliche Lage ist ein Alarmsignal für unseren Wohlstand und für das Aufstiegsversprechen in Deutschland.“ Seine Lösung für diese Problembeschreibung an diesem Vormittag: ein zweiseitiges Papier mit dem Titel „Leistung und Arbeit müssen sich wieder lohnen“, ein Beschluss des Präsidiums, der fünf Punkte enthält, für die sich die Liberalen stark machen wollen. Steuervorteile für geleistete Überstunden, eine automatische Anpassung der Lohn- und Einkommenssteuer an die Inflation, Steuervergünstigungen für ausländische Fachkräfte, Arbeitsanreize für Ältere sowie für Bürgergeldempfänger.
„Wir müssen eine neue Dynamik für ein wirtschaftlich starkes Deutschland entfesseln“, erklärt Djir-Sarai. Man könnte auch sagen: Die FDP will mehr Wirtschaft wagen. Noch mehr. So wie in alten Zeiten. FDP und Wirtschaft, FDP und Unternehmertum, FDP und Steuersenkungen. Das ist gelernt, das kennt jeder. Das ist der Markenkern, das soll jetzt wieder in den Fokus rücken.
Demonstrativer Optimismus
Doch wird das reichen? Wird eine liberale Wirtschaftspolitik die Partei tatsächlich in den Umfragen so weit nach oben katapultieren, heraus aus der politischen Todeszone?
Hört man sich in diesen Tagen und Wochen innerhalb der Partei um, stößt man auf demonstrativen Optimismus. Umfragetief? Egal, das kennen wir doch schon, war zwischenzeitlich immer so, gerade, wenn wir regieren, heißt es. Am Ende, dann wenn’s gilt, sind wir da. Turniermannschaft. Wahlkampf können wir. Gar von einem zweistelligen Wahlergebnis spricht mancher, fast so, als wäre das ein Selbstläufer.
Auf den ersten Blick ist das erstaunlich. Denn nach derzeitigem Stand der Umfragen wären allein in der Bundestagsfraktion mindestens die Hälfte der Abgeordneten ihren Job los, womöglich sogar alle. Eigentlich erwartet man da Angst, Bangen um die politische Karriere. Auf den zweiten Blick aber wird klar: Das gute Gefühl, das die Liberalen aktuell vermitteln wollen, speist sich nicht allein aus der Erfahrung früherer Wahlkämpfe, in denen sie ihre Kampagnenfähigkeit tatsächlich immer wieder bewiesen haben. Sondern auch aus der gesellschaftlichen Großwetterlage.