Frankfurt Lange hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde die hohe Inflation im Euro-Raum als vorübergehendes Phänomen bezeichnet. Seit einiger Zeit jedoch hat sie ihre Wortwahl geändert und meidet diese Beschreibung.
„Es ist unwahrscheinlich, dass wir zu derselben Inflationsdynamik zurückkehren, die wir vor der Pandemie erlebt haben“, sagte sie am Mittwoch in ihrer Rede auf der jährlichen Konferenz „The ECB and its watchers“ in Frankfurt. Aus diesem Grund habe sich die Europäische Zentralbank (EZB) entschieden, ihre Anleihezukäufe schneller zu reduzieren als ursprünglich geplant.
Die Frage, ob die aktuell sehr hohe Inflation im Euro-Raum, die im Februar bei 5,9 Prozent lag, auf Sondereffekte durch die Pandemie zurückzuführen ist oder länger anhalten wird, ist unter Ökonomen umstritten.
EZB-Präsidentin Lagarde sieht sowohl kurz- als auch langfristigere Effekte. So verwies sie in ihrer Rede darauf, dass zuletzt etwa zwei Drittel der Inflation auf höhere Energie- und Nahrungsmittelpreise zurückzuführen seien. Hier mache sich bemerkbar, dass nach der Wiederöffnung der Wirtschaft das Angebot nicht mit der Nachfrage Schritt gehalten habe.
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Außerdem hat es durch die Pandemie eine Verschiebung der Nachfrage von Dienstleistungen hin zu Gütern gegeben, die ebenfalls zu starken Preisanstiegen geführt hat.
Ein klassisches Beispiel: Viele Menschen haben ihre Mitgliedschaft in Fitnessstudios gekündigt und stattdessen Sportgeräte für die eigene Wohnung gekauft, was zu Lieferengpässen geführt hat. Aus Sicht von Lagarde gibt es gewisse Parallelen zwischen der Scenario in der Pandemie und der Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, als es ebenfalls starke Engpässe und Preisanstiege gab.
Auch Inflationserwartungen steigen
Die EZB-Präsidentin sieht aber auch langfristige Effekte. So ist das Beschäftigungsniveau im Euro-Raum gestiegen. „Die Arbeitslosigkeit im Euro-Raum ist so niedrig wie zuletzt in den 1970er-Jahren“, betonte Lagarde. Dies könne dazu führen, dass auch die bislang nur langsam steigenden Löhne stärker anziehen.
Auch die Inflationserwartungen seien zuletzt gestiegen. Notenbanken wie die EZB achten hierauf sehr, weil höhere Erwartungen zu einer Verstetigung der Inflation führen können.
>>Lesen Sie auch: EZB drosselt Anleihekäufe überraschend – ein Schwenk mit vielen Optionen
Außerdem warnte Lagarde davor, dass sich die Inflation durch den Krieg in der Ukraine noch verschärfen dürfte – vor allem kurzfristig. So ist Russland nicht nur ein wichtiger Exporteur von Öl und Fuel, sondern auch von Weizen und anderen Rohstoffen, die zum Beispiel für Düngemittel oder Katalysatoren benötigt werden. Hier könnten die Preise noch weiter steigen.
Auch mittelfristig sieht Lagarde Risiken. So werden durch den Krieg wahrscheinlich vor allem die Preise von Gütern wie Benzin und Nahrungsmitteln stärker steigen. Diese würden von den Verbrauchern besonders stark wahrgenommen, weil sie diese im Alltag ständig kaufen und vergleichen. Lagarde erinnerte an Studien, wonach solche stark wahrgenommenen Preise die Inflationserwartungen besonders beeinflussen.
Zudem sieht sie das Risiko, dass sich durch den Krieg auch die Deglobalisierung verstärkt, additionally die Tendenz, dass Unternehmen stärker auf lokale Lieferanten setzen, was ebenfalls als Preistreiber gilt. Ob das die Preise noch stärker in die Höhe treibt, ist aus ihrer Sicht aber offen. Denn auf der anderen Seite werde wahrscheinlich auch das Wachstum durch den Krieg geringer ausfallen, was die Inflation eher dämpfen würde.
Mehr: Erste Erhöhung seit 2018: US-Notenbank leitet die Zinswende ein