München Die Läger des Münchener Elektronikspezialisten Katek sind randvoll – jedoch mit halbfertiger Elektronik. Weil einzelne Chips fehlen, muss Vorstandschef Rainer Koppitz massenhaft teure Steuerungen und wertvolle Ladegeräte auf Halde legen. Das bindet Millionen Euro und frustriert Kunden, die ungeduldig auf Ware warten.
Besserung ist nicht in Sicht: „Ich bin skeptisch, was die nächsten zwei Quartale angeht“, sagt Koppitz. Der Krieg in der Ukraine sowie die andauernde Pandemie würden den Chipmangel sogar verschärfen. „Die Lage ist noch einmal unberechenbarer geworden“, erklärt der Supervisor.
Die schlechten Nachrichten sind auch schlecht für die Industrie. Seit Monaten steht vielerorts die Produktion nonetheless, weil Chips fehlen. Der Solartechnikkonzern SMA Photo voltaic rechnet in diesem Jahr mit fallendem Umsatz, weil nicht genügend Halbleiter zur Verfügung stehen.
Katek fürchtet Gegenreaktionen Russlands
Der Alarm von Katek hat es in sich, denn das börsennotierte Unternehmen beliefert eine Vielzahl von Branchen, von Autoherstellern bis zur Medizintechnik. Mit mehr als 2600 Mitarbeitern sind die Bayern einer der wichtigsten Elektronikproduzenten hierzulande.
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Koppitz glaubt, dass den Chipherstellern in den nächsten Monaten Vorprodukte aus Russland und der Ukraine fehlen werden. Insbesondere um das Edelgas Neon macht sich die Halbleiterbranche Sorgen. „Jetzt sind noch Vorräte an Neon da“, sagt Sascha Bütterling, Deutschlandchef von Supplyframe. „Auf lange Sicht aber wird das ein Thema werden.“ Das US-Unternehmen betreibt Marktplätze für Elektronikkomponenten und weiß daher genau, wie es um die Lieferketten bestellt ist.
Zwischen 45 und 54 Prozent der weltweiten Produktion des Gases stammen nach Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters auf Foundation von Daten des Forschungsunternehmens Techcet von den ukrainischen Anbietern Ingas und Cryoin. Die beiden Unternehmen haben Sprechern zufolge ihre Tätigkeit nach Beginn der russischen Offensive beendet. Ingas hat seinen Sitz in der besonders umkämpften Stadt Mariupol und produzierte nach eigenen Angaben auch für Firmen in Deutschland.
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Auch um Chips aus China bangt Konzernlenker Koppitz. In jüngster Zeit hat die Regierung in Peking wiederholt Millionenstädte abgeriegelt, teilweise wegen einiger weniger Coronainfektionen. Dabei kam auch die dortige Halbleiterfertigung zum Erliegen.
Die Chipnachfrage sei demgegenüber ungebrochen groß, so Koppitz: „Der Bedarf in allen Industrien ist gestiegen.“ Zwei Jahre Wartezeit seien bei wichtigen Chiplieferanten inzwischen üblich, so der Unternehmensführer.
Koppitz fürchtet zudem, dass in seinen Werken in nächster Zeit zahlreiche ukrainische Mitarbeiter ausfallen werden. Sie alle dürfen Sonderurlaub nehmen. Und: In den vergangenen Monaten sei der Krankenstand wegen der Omikron-Variante des Coronavirus deutlich gestiegen – vor allem in den Fabriken in Osteuropa. „Wir sehen, dass das derzeit eher noch weiter nach oben geht.“
Noch Ende vergangenen Jahres hatte der Katek-Chef mit einer leichten Entspannung gerechnet. Denn die Chipindustrie investiert so viel wie nie. Bei Deutschlands größtem Halbleiterproduzenten Infineon etwa ist es aktuell um die Hälfte mehr als im Vorjahr. All das reicht aber nicht, um den Bedarf auch nur ansatzweise zu decken. Für dieses und das kommende Jahr ist nicht nur Infineon, sondern sind auch Konkurrenten wie STMicroelectronics bereits komplett ausgebucht.
Der Chipmangel hört nicht vor 2025 auf
Einige Halbleiter-Typen würden gegen Jahresende wohl schneller und leichter zu bekommen sein, glaubt Supplyframe-Supervisor Bütterling. Komplexere Bauteile wie Mikrocontroller, Minicomputer für spezielle Aufgabenbereiche, blieben selbst noch 2023 knapp. Insgesamt werde sich der Chipmangel wohl bis 2025 hinziehen, so Bütterling. Dann dürften zahlreiche Chipwerke in Betrieb gehen, deren Bau derzeit startet.
Katek-Chef Koppitz geht unterdessen davon aus, dass das Auftragsvolumen zumindest teilweise aufgebläht ist. Die Kunden bestellen deutlich mehr, als sie tatsächlich benötigen. Sie treibt die Angst.
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Koppitz reagiert darauf: „Auch bei großen Kunden sagen wir Aufträge ab“, behauptet der Supervisor. Das Volumen sei einfach nicht zu bewältigen: „Das ginge auch ohne Teilemangel nicht.“ Gleichzeitig bespreche er mit den Abnehmern heute schon das Geschäft für das kommende Jahr, um den Bedarf möglichst genau zu bestimmen. „Die Partnerschaft zwischen uns und unseren Kunden ist so eng wie nie.“
Die Siemens-Tochter Supplyframe hat daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Mit der Software program des Unternehmens können Ingenieure schon bei der Entwicklung erkennen, ob und wann die benötigten Komponenten verfügbar sind – und welche Alternativen gegebenenfalls existieren. „Wichtig ist, schon in der Designphase nach vorn zu blicken“, erklärt Bütterling.
Es ist paradox: Niemand weiß, wie es mit dem Ukrainekrieg, der Weltwirtschaft und Corona weitergeht. Gleichzeitig sind die Firmen gezwungen, so lange vorauszuplanen wie nie.
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