Bis zu 260 Menschen, die sich von Harold Shipman Hilfe erhofften, fielen ihm zum Opfer. Sein Motiv ist bis heute unklar.
Ungeachtet ihrer 81 Jahre war Kathleen Grundy bis zuletzt immer topfit gewesen. Dennoch lag die ehemalige Bürgermeisterin der kleinen englischen Ortschaft Hyde am 24. Juni 1998 tot in ihrem Haus. Kurz zuvor hatte ihr Hausarzt Harold Shipman ihr einen Besuch abgestattet, um Blut abzunehmen. Doch statt einen Gesundheitscheck zu bekommen, wurde Kathleen Grundy zum letzten Opfer von „Doktor Tod“.
Für den Tod von bis zu 260 Menschen soll der ehemalige Hausarzt Harold Shipman zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren verantwortlich gewesen sein. Dabei hatte es immer wieder Hinweise auf die Taten des Mediziners gegeben. Doch erst der Tod von Kathleen Grundy sollte dazu führen, dass die Verbrechen des Harold Shipman bekannt wurden.
Shipman als Alleinerbe
Als Kathleen Grundys Tochter, die Rechtsanwältin Angela Woodruff, von einem Kollegen erfuhr, dass ihre Mutter kurz vor ihrem Tod all ihre Kinder aus dem Testament gestrichen hatte, kam ihr ein übler Verdacht. Der Name, der stattdessen im letzten Willen stand, sollte ihr Gewissheit geben: Harold Shipman, der Arzt, der kurz vor ihrem Tod bei der gesunden Kathleen Grundy gewesen war. Woodruff und ihr Mann gingen zur Polizei.
Im Gegensatz zu anderen Opfern von Shipman wurde Kathleen Grundy erdbestattet. Daher konnte ihr Körper exhumiert und untersucht werden. Die Gerichtsmediziner fanden Spuren von Morphium, das normalerweise bei Krebspatienten genutzt wird. Sofort wurde Shipman festgenommen und sein Haus durchsucht.
Eine Schreibmaschine überführt „Doktor Tod“
Dort fanden die Ermittler unter anderem eine Schreibmaschine, die einen fehlerhaften Anschlag bei den Buchstaben A, E und W aufwies. Genau dieser Fehler ließ sich auch bei dem ominösen Testament erkennen, das Shipman zum Alleinerben machen sollte. Der Arzt war überführt. Doch das wahre Ausmaß seiner Taten sollte erst mit der Zeit klar werden.
Denn nun untersuchte die Polizei weitere Tode von Shipmans Patienten. In seiner Patientenkartei fand man 15 Todesfälle, die ein ähnliches Tatmuster aufwiesen. Jedes Mal wurde zumeist Frauen über 65 Jahre eine tödliche Dosis Morphium verabreicht. Im Anschluss fälschte Shipman die medizinischen Aufzeichnungen und unterzeichnete die Todesurkunde.
Im Januar 2000 wurde Shipman für Mord in 15 Fällen zu 15-mal lebenslänglicher Haft verurteilt. Auch der Urkundenfälschung und der Fälschung des Testaments wurde Shipman für schuldig befunden. Von weiteren Anklagen wurde abgesehen, da man befürchtete, dass ein faires Verfahren, angesichts der großen Öffentlichkeit, nicht möglich gewesen wäre.
Darüber hinaus war Shipman bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Eine noch längere Strafe wäre nur symbolisch gewesen. Dennoch war klar: Man kratzte nur an der Oberfläche einer 22 Jahre andauernden Arztkarriere.
Die „Shipman-Untersuchungen“
Um das ganze Ausmaß der Verbrechen Shipmans aufzudecken, gab der britische Gesundheitsminister, Alan Milburn, die „Shipman-Untersuchungen“ in Auftrag. Die Sonderkommission wurde von der Richterin Dame Janet Smith geleitet. Zu den Taten des Arztes sagte sie: „Shipmans ’nicht gewaltsame‘ Morde sind auf eine Art nahezu weniger fassbar“ als Morde, von denen man normalerweise in den Medien höre.
Die Kommission sollte nicht nur ermitteln, wie viele Menschen Shipman getötet hatte, sondern vor allem auch, warum. Bis zurück in seine Kindheit forschten die Ermittler.
Tote Mutter und Drogenmissbrauch
Bereits im Alter von 17 Jahren hatte Harold Shipman seine Mutter verloren, die an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung starb. Sie bekam, wie auch später seine Opfer, Morphium durch einen Hausarzt verabreicht. Shipman hatte die Therapie hautnah miterlebt.