Stefan Effenberg analysiert in seiner neuen t-online-Kolumne die DFB-Kadernominierung. Er wirft dabei eine brisante Frage auf.
Bundestrainer Julian Nagelsmann hat seinen Kader für die Generalprobe für die Heim-EM bekannt gegeben. Damit liegen die Karten jetzt endgültig auf dem Tisch. Riesengroße Überraschungen waren da für mich allerdings keine mehr dabei. Die Entwicklungen hatten sich in den vergangenen Tagen und Wochen schließlich bereits angedeutet.
Das gilt für die Nominierungen der Rückkehrer Manuel Neuer und Toni Kroos genauso wie für die Neulinge Waldemar Anton, Maximilian Mittelstädt und Deniz Undav vom VfB Stuttgart und Aleksandar Pavlović vom FC Bayern. Auch, dass Jan-Niklas Beste von Aufsteiger Heidenheim sowie der Hoffenheimer Maximilian Beier dabei sein würden, hatte sich bereits abgezeichnet, weil alle Genannten konstant sehr gute Leistungen gebracht haben.
Nagelsmann wollte seinen Kader ausdrücklich nach dem Leistungsprinzip zusammenstellen und hat das mit minimalen Abweichungen auch eingehalten. Der Fall Leon Goretzka ist für mich aber einer, bei dem das Leistungsprinzip nicht ganz greift. Er hatte sein Tief beim FC Bayern. Da ist er aber gut rausgekommen, seit Wochen wieder sehr stabil und bei Bayern im Zentrum gesetzt. Dann ist die Entscheidung, ihn nicht zu berücksichtigen, schwer nachvollziehbar. Zumal er viel Erfahrung, schon einige Turniere gespielt und auch schon große Titel gewonnen hat. Deshalb ist das schwer zu verstehen. In erster Linie für den Spieler selbst, aber auch für mich persönlich.
Goretzka und Hummels sind Nagelsmanns Joker
Leon muss jetzt alles dafür tun, weiter seine Leistung bringen, um am Ende vielleicht doch noch auf den EM-Zug aufzuspringen. Auch Mats Hummels fehlt im Kader. Er hat zuletzt bei Borussia Dortmund in der Bundesliga nicht so viel Spielzeit bekommen. Beim 2:0-Sieg im Viertelfinalrückspiel der Champions League gegen Eindhoven hat er aber eindrucksvoll bewiesen, dass er sehr wohl weiterhin wichtig ist, eine Mannschaft zusammenhalten kann, und ein Führungsspieler ist.
Ich glaube aber, dass die Enttäuschung bei Goretzka noch mal etwas größer ist. Aber es sind bis zur EM noch ein paar Spiele zu spielen und ein paar Wochen zu gehen. Für Nagelsmann ist es etwas Schönes und gut zu wissen, dass er zwei solche Spieler noch in der Hinterhand hat. Wenn jemand abfällt, in ein Leistungstief gerät, dann kann er sofort auf sie zurückgreifen.
Bei Pavlović gehen die Meinungen etwas auseinander, ob es richtig ist, den 19-Jährigen nach insgesamt gerade einmal 14 Profi-Pflichtspielen schon zu nominieren. Ich halte es trotzdem für richtig. Auch, um damit nach vorne und in die Zukunft zu schauen und den Abwerbeversuchen von Serbien um ihn einen Riegel vorzuschieben. Damit er in Zukunft für Deutschland spielt.
Ich glaube also schon, dass es sehr wohl ein bisschen eine politische Entscheidung ist. Wenn ein solcher Spieler zwei Staatsangehörigkeiten besitzt, musst du ihn als Verband nominieren. Und sein Herz hat für die deutsche Nationalmannschaft mitentschieden. Er kann vielleicht noch sechs, sieben, acht Turniere in Zukunft spielen. Die 17 Pflichtspiele hat er ja auch nicht für irgendeinen Klub gemacht, sondern sich beim FC Bayern durchgesetzt. Das ist schon noch mal eine andere Geschichte.
In der jüngeren Vergangenheit hatten wir mit Niclas Füllkrug nur einen Neuner. Jetzt wurde die Stürmerposition aber mit guter Qualität aufgefüllt: mit Undav und Beier. Und ich bin auch sehr froh darüber, dass Havertz wieder im Angriff aufgeführt wird – und nicht in der Abwehr oder im Mittelfeld.
Der Kader gibt die klare Richtung vor. Es wird aber mit Sicherheit auch noch ein paar Veränderungen im endgültigen EM-Aufgebot geben. Möglicherweise durch Verletzung oder durch Spieler, die sich noch mal ins Rampenlicht spielen.