Düsseldorf Bislang ist die Hauptstadt Kiew von größeren Kämpfen im Ukraine-Krieg verschont geblieben, die Lage bleibt dort jedoch angespannt. In vielen Landesteilen mehren sich aber die Angriffe der russischen Armee.
Aktuell wird stark um Charkiw im Nordosten gekämpft. In der zweitgrößten Stadt des Landes sollen russische Soldaten nach einem Medienbericht ein medizinisches Zentrum des Militärs angegriffen haben. Es sei zum Kampf mit ukrainischen Einheiten gekommen, meldete die ukrainische Nachrichtenagentur Unian. Die Stadt hat rund 1,5 Millionen Einwohner und warfare bereits am Dienstag Ziel mehrerer Raketenangriffe.
Sich widersprechende Meldungen gibt es zur Lage im südukrainischen Cherson. So meldete die Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf das Moskauer Verteidigungsministerium, die russischen Streitkräfte hätten die Stadt eingenommen. Die ukrainischen Behörden meldeten, Cherson sei zwar von russischen Truppen umzingelt, aber nicht gefallen. Die Stadt liegt nordwestlich der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.
Auch die südukrainische Stadt Mariupol am Asowschen Meer steht unter starkem Beschuss. Noch sei sie in ukrainischer Hand, hieß es vom Stadtrat. Russisches Militär greife zivile Einrichtungen an, darunter Wohnblocks, Krankenhäuser und behelfsmäßige Unterkünfte für Menschen, die durch die Kämpfe vertrieben wurden.
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) konnte bislang einen Fall bestätigen bei dem ein Krankenhaus in der vergangenen Wochen unter Beschuss geriet. Vier Menschen seien getötet und zehn verletzt worden. Berichte über weitere Angriffe würden noch geprüft. Russland hat seit Beginn des Einmarschs behauptet, zivile Ziele würden nicht angegriffen.
Gespräche wohl noch am Mittwoch
Am Vormittag kündigte der Kreml an, bereit für erneute Verhandlungen mit der ukrainischen Seite zu sein. „Heute Nachmittag, am späten Nachmittag, wird unsere Delegation vor Ort sein und auf die ukrainischen Unterhändler warten“, sagte Sprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge.
Am Nachmittag stimmte die Ukraine dem Treffen an diesem Mittwoch nach Informationen der Nachrichtenagentur Unian zu. Uhrzeit und Ort für die Gespräche wurden nicht genannt. Der ukrainische Präsident Selenski hatte zuvor mehrfach erklärt, Gespräche seien nur sinnvoll, wenn Russland vorher mit den Angriffen aufhöre.
Nach den ersten Gesprächen am Montag hatten beide Seiten die belarussisch-polnische Grenze als Ort für Verhandlungen genannt. Die erste Runde warfare ohne greifbare Ergebnisse geblieben.
Zugeständnisse im Voraus will Moskau nicht machen. Peskow stellte klar, dass Russland auf den von Präsident Wladimir Putin formulierten Forderungen bestehe.
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Die Regierung in Kiew müsse demnach die „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk sowie Russlands Souveränität über die Schwarzmeer-Halbinsel Krim anerkennen. Zudem fordert Russland eine „Demilitarisierung“ der Ukraine. Von ukrainischer Seite hieß es derweil, man sei bereit zu reden, aber nicht bereit, russische Ultimaten hinzunehmen.
Hunderttausende Menschen auf der Flucht
Der Krieg vertreibt weiter hunderttausende Ukrainer aus ihrer Heimat. In Polen sind nach Regierungsangaben mittlerweile rund 500.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland angekommen. „Wir sind verpflichtet, unseren Nachbarn zu helfen, und wir tun es auch. Wir haben einen humanitären Korridor eingerichtet, wir haben alle Verfahren beschleunigt, die wir von unserer Seite aus beschleunigen konnten“, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki.
Mehr als 113.000 Ukrainer sind seit Beginn der Invasion nach Rumänien geflohen, wie aus Daten der Grenzpolizei hervorgeht. Auch die Bundesregierung stellt sich auf weitere Flüchtlinge ein, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin sagte. Seinen Angaben zufolge wurden bislang 5309 Einreisen von Ukrainern registriert. Die tatsächliche Zahl könne aber höher liegen.
Die EU-Kommission will den Kriegsflüchtlingen schnell Schutz in den EU-Staaten gewähren. Die Brüsseler Behörde schlug offiziell vor, EU-Regeln für den Fall eines „massenhaften Zustroms“ von Vertriebenen in Kraft zu setzen, die den vorübergehenden Schutz der Ukrainer ohne langes Asylverfahren ermöglichen würden.
Sollten die Regeln in Kraft treten, dürften Ukrainer den Schutzstatus in jedem EU-Land beantragen. Der Schutz gilt zunächst für ein Jahr, kann jedoch um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden. Das Recht, einen Asylantrag zu stellen, besteht weiter.
Nawalny ruft zu Protesten auf
Der im russischen Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny hat die Menschen in Russland zu Protesten gegen den Krieg im Nachbarland Ukraine aufgerufen. Protestiert werden solle jeden Tag – „wo auch immer ihr seid: in Russland, Belarus oder auf der anderen Seite des Planeten“, hieß es auf Nawalnys Twitter-Account.
„Wir, Russland, wollen eine Nation des Friedens sein. Leider Gottes würden uns nur wenige Menschen derzeit so nennen. Aber lasst uns zumindest nicht zu einer Nation ängstlicher stiller Menschen werden“, hieß es weiter.
Der 45-Jährige rief dazu auf, sich trotz drohender Festnahme auf die Straße zu trauen. Die russischen Behörden warnen eindringlich vor einer Teilnahme an von Behörden nicht genehmigten Kundgebungen. In den vergangenen Tagen wurden Bürgerrechtlern zufolge russlandweit bereits Tausende Menschen bei Anti-Kriegs-Demos festgenommen.
„Um den Krieg zu stoppen, müssen wir die Gefängnisse und Gefangenentransporter füllen“, hieß es nun auf Nawalnys Account. „Alles hat seinen Preis. Und nun, im Frühling 2022, müssen wir diesen Preis bezahlen.“ Das russische Regime geht hart gegen Proteste vor. Mittlerweile wurden mindestens 6000 Anti-Kriegs-Demonstranten festgenommen.
Scholz schließt Nato-Einsatz weiter aus
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte unterdessen bei seinem Antrittsbesuch in Israel, dass die Nato nicht militärisch in den Krieg eingreifen wird. „Das wäre in dieser State of affairs falsch“, sagte er in Jerusalem.
„Was wir tun ist zu unterstützen“, ergänzte der Bundeskanzler. Konkret nannte er Finanzhilfen und Hilfsgüter. Die Sanktionen gegen Russland hätten zudem bereits Wirkung erzielt. Das zeige, dass die Haltung zwischen Konsequenz und der gebotenen Vorsicht richtig sei. „Ich glaube, dass das die richtigen Entscheidungen sind.“
Scholz will sich zudem dafür einsetzen, dass die Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine bald fortgesetzt werden. „Natürlich geht es jetzt darum, dass die Diplomatie wieder eine große Probability bekommt“, sagte er. Zugleich rief er Russland erneut auf, alle Kampfhandlungen sofort einzustellen. „Attacken auf zivile Infrastruktur und Zivilisten müssen aufhören“, betonte er.
Hier finden Sie weitere Berichte des Handelsblatts:
Weil die Nato die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt, hat Russland vor einem Konflikt mit dem Verteidigungsbündnis gewarnt. Es gebe „keine Garantien, dass es keine Zwischenfälle geben wird“, sagte Vizeaußenminister Alexander Gruschko am Mittwoch dem Staatssender Rossija-24. Mehrere Nato-Mitglieder, darunter auch Deutschland, haben nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Waffenlieferungen an Kiew geliefert.
Derweil reiste Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht für Gespräche nach Rumänien. Die SPD-Politikerin will sich über den von dort laufenden Nato-Einsatz zum Schutz der südöstlichen Flanke des Bündnisses informieren.
Die Bundeswehr hat in Rumänien sechs Eurofighter stationiert, die sich mit Bündnispartnern an bewaffneten Luftraumpatrouillen („fight air patrol“) beteiligen. Sie will auch Infanteriesoldaten für einen Nato-Gefechtsverband nach Rumänien schicken. Deutschland stellt von diesem Jahr an bis 2024 für die Nato-Reaktionskräfte („Nato Response Power“) rund 13.600 der insgesamt 40.000 Soldaten.
EU will Belarus sanktionieren
Die Europäische Union hat am Mittwoch neue Sanktionen gegen Belarus wegen der Unterstützung des russischen Einmarsches in die Ukraine beschlossen. Betroffen seien vor allem die belarussische Holz-, Kali- und Stahlindustrie, teilte die französische EU-Ratspräsidentschaft auf Twitter mit. Die Maßnahmen träten in Kraft, sobald sie im EU-Amtsblatt veröffentlicht seien.
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko gilt als Verbündeter und militärischer Unterstützer von Kremlchef Putin im Krieg gegen die Ukraine. Russische Angriffe auf das Nachbarland werden auch von belarussischem Gebiet ausgeführt. Belarus bestreitet dies allerdings.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte bereits am Sonntag Strafmaßnahmen gegen Belarus angekündigt und die Regierung Lukaschenko „den anderen Aggressor in diesem Krieg“ genannt.
Dem EU-Land Polen gehen außerdem die aktuellen Strafmaßnahmen gegen Russland nicht weit genug. Polen fordert ein europäisches Embargo gegen Öl, Gasoline und Kohle aus Russland. Sein Land würde vor allem die Einfuhr russischer Kohle auch sofort einseitig stoppen, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Dafür bräuchte er nur die Zusicherung der EU-Kommission, Polen dafür nicht zu bestrafen, weil Sanktionspolitik EU-Sache sei.
Mit Agenturmaterial