Der Jahresbericht der Wehrbeauftragten legt erneut Schwachstellen bei der Bundeswehr offen. Ein Sicherheitsexperte erklärt, was nun getan werden muss.
Verschimmelte Duschen, fehlende Spinde und zu wenig Personal – die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, weist in ihrem Jahresbericht für 2023 auf den desolaten Zustand der Bundeswehr hin. Trotz der zunehmenden Kriegsgefahr aus Russland fehlt es der Bundeswehr demnach noch immer an vielem. Högl sieht zwar „wichtige Zeichen“ der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprochenen „Zeitenwende“. Doch ein Blick in ihren Jahresbericht zeigt: Bei der Bundeswehr läuft diese schleppend.
„Die Probleme sind seit Jahren die gleichen“, sagt Christian Mölling, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Denkfabrik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit t-online. „Die Bundeswehr hat einfach zu viele Flaschenhälse.“ Doch was genau sind die größten Baustellen bei der Bundeswehr? Und wie ließen sie sich beseitigen?
Fehlendes Material – „Bestellungen verschlafen“
Ein Manko, mit dem die Bundeswehr derzeit zu kämpfen hat, ist das fehlende Material. Laut Wehrbericht fehlt es trotz umfassender Materialbeschaffung und -bestellung sowohl an Munition, Ersatzteilen und kleinerem Material wie Nachtsichtmitteln als auch an Großgeräten wie Panzern und Flugabwehrsystemen. Die Lieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine reiße zudem „Lücken in ohnehin schon geringe Bestände“. Högl will diese so schnell wie möglich wieder schließen. Sie klagt jedoch über überbürokratisierte Prozesse und Strukturen.
Mölling weist darauf hin, dass schon längst Bestellungen bei den Rüstungskonzernen hätten abgegeben werden müssen. „Das hat die Bundesregierung verschlafen“, sagt er. Laut Högl genehmigte der Bundestag im vergangenen Jahr 55 Anträge mit einem finanziellen Gesamtvolumen von 47 Milliarden Euro für Rüstungsprojekte. Eine Bestellung ist damit jedoch noch nicht aufgegeben.
Christian Mölling ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Denkfabrik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung. Er studierte Politik-, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaften an den Universitäten Duisburg und Warwick und promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Mölling zufolge bestellen angesichts des andauernden russischen Krieges gegen die Ukraine nun sehr viele Länder bei den Rüstungskonzernen. Deutschland reihe sich zu spät in die Warteschlange ein. Doch nicht nur das: „Die Anforderungen an die Bundeswehr werden steigen“, sagt Mölling mit Blick auf die Planung der Nato. Bereits jetzt würden die Anforderungen des Bündnisses an die Bundeswehr nicht erfüllt. Eine zugesagte Division für 2025 sei noch immer nicht in den Startlöchern.
Eine Lösung, so Mölling, wäre beispielsweise, andere Maßstäbe daran anzulegen, was „einsatzbereit“ heißt. „Wenn man sagt, man macht keine Kompromisse bei Leib und Leben – ok. Im Notfall könnte man aber erst mal Waffen aus dem Ausland kaufen“, so der Experte. „Die können wir im Zweifel später wieder abgeben, aber erst mal wären die Lücken gestopft.“
Marode Infrastruktur – hohe Investitionen
Ein weiteres Problem liegt laut dem Jahresbericht der Wehrbeauftragten 2023 in der maroden Infrastruktur der Bundeswehr. Högl schreibt, es brauche „grundlegend neue Ansätze“. Viele Kasernen seien „in einem desolaten Zustand“. Es fehle mitunter an „Selbstverständlichkeiten wie Stuben, Lagerhallen, Sportmöglichkeiten und WLAN“. Das sei teils beschämend und dem Dienst der Soldatinnen und Soldaten unangemessen.
Um genügend Ausrüstung für die Bundeswehr zu besorgen, weitere Waffen zu bestellen und auch die Kasernen für die Zukunft auf Vordermann zu bringen, nannte Högl schon im vergangenen Jahr einen Investitionsbedarf von mindestens 300 Milliarden Euro – eine Summe, die Mölling für realistisch hält. „Frau Högl wird die Zahl nicht gewürfelt haben“, so der Experte. Er gehe davon aus, dass sich der notwendige Betrag inzwischen jedoch gesteigert haben dürfte.
Mit Blick auf die Planungen der Nato schätzt Mölling grob, dass die Anforderungen an die Streitkräfte um ein Drittel steigen. Übertrage man das auf Kosten wären wohl mindestens 400 Milliarden Euro nötig, um die Bundeswehr wieder auf Stand zu bringen. „Und da ist die Inflation noch nicht mit eingerechnet“, so der Experte. Auch Högl schreibt in ihrem Bericht, dass nach Ausschöpfen des Sondervermögens Ende 2027 der Verteidigungsetat um mehrere Milliarden steigen müsse. Einen genauen Betrag nennt sie diesmal jedoch nicht.
Derzeit beträgt die für die Streitkräfte bereitgestellte Summe 58,5 Milliarden Euro – eine deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren. Zwar fiel der Verteidigungsetat selbst („Einzelplan 14“) mit 50,1 Milliarden Euro gegenüber 50,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 etwas geringer aus. Aus dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr standen aber zusätzlich rund 8,4 Milliarden Euro zur Verfügung.