Auf der größten Insel British Columbias werden viele Küstenorte auf dem Wasserweg versorgt – Touristen können mitfahren und den Skippern über die Schulter schauen.
John Adam steht an einem wolkenverhangenen Morgen auf der Brücke und schaut auf seine Uhr. „Auf gehts, wir legen bald ab“, ruft der Kapitän seinen Männern zu, die mit einem Kran gerade Fracht im Schiffsbauch verstauen: Container, Bauholz, Zementsäcke, Propangasflaschen, Lebensmittel und Postkisten.
Um kurz nach acht Uhr ist die „M.V. Frances Barkley“ beladen. Adam manövriert das 36 Meter lange Postschiff vorsichtig aus dem Hafenbecken von Port Alberni. Nach ein paar Minuten erreicht er einen Meeresarm und lässt die Maschinen laufen: Mit zehn Knoten (circa 18,5 Kilometer pro Stunde) geht es ab jetzt durch die zerklüfteten Küstenlandschaften im Westen Kanadas in Richtung offenes Meer. Vor den Passagieren liegt eine atemberaubende Fahrt.
Kanadische Postschiffe wie die „M.V. Frances Barkley“ kreuzen auf ihren Touren durch einige der schönsten Küstenregionen der Welt. Zum Panorama gehören Fjorde, Wasserfälle, Regenwälder. Mit der „M.V. Frances Barkley“ unterwegs zu sein bedeutet einen authentischen Einblick in das Leben inmitten der Natur.
Der Dampfer, Baujahr 1958, ist mehr als nur ein Versorgungsschiff. Ähnlich wie die alten Postschiffe der norwegischen Hurtigruten-Linie hat Adam auf seiner neunstündigen Fahrt neben der Fracht auch Touristen und Tagesausflügler an Bord. Gekocht wird für sie in einer kleinen Kombüse, zwei Passagierräume stehen zur Verfügung, dazu ein großzügiges Sonnendeck.
Mini-Kreuzfahrt durch abgelegene Regionen
150 Fahrgäste können mitfahren. Sie erleben eine Art Mini-Kreuzfahrt durch die Wildnis und durchqueren einsame Regionen, die auf anderem Wege nur schwer erreichbar wären. Adler kreisen am Himmel, in riesigen Rot-Zedern bauen sie ihre Nester. Schon bald tauchen die ersten Tümmler am Bug des Schiffes auf.
„Für die Bewohner vieler Küstendörfer erfüllen wir eine wichtige Versorgungsfunktion“, sagt Kapitän John Adam, während er das Schiff durch das Alberni-Inlet lenkt, einen 40 Kilometer langen Fjord, der vom Küstenort Bamfield bis nach Port Alberni im Landesinneren von Vancouver Island reicht.
Dreimal in der Woche bedient Adam die spektakuläre Route durch den Westen von British Columbia. Bewaldete Uferstreifen und steile Klippen ziehen vorbei, man passiert felsige Inseln und Inselchen. Gelegentlich tauchen Camps von Holzfällern auf, manchmal kleine Strandsiedlungen, Hausboote oder bunte Ferienhäuschen mit Bootsstegen.
Ankunft nach zwei Stunden in Kildonan, einem Weiler an einem Nebenarm des Alberni-Inlet. Einst lebten in der Siedlung bis zu 300 Menschen, es gab eine Konservenfabrik für Fische und eine Anlegestelle für die Dampfschiffe der Canadian Pacific Railway. Heute ist das alte Fabrikgelände verwaist und überwuchert. Ein paar Hausboote dümpeln vor sich hin.
Wertvolle Fracht: eine Zementmaschine
Kapitän Adam lässt die Schiffssirene heulen – ein willkommenes Signal für die wenigen Sportfischer und Aussteiger, die sich hier ein kleines Refugium pflegen. „Schön, euch zu sehen“, ruft einer der Fischer, der gerade sein Haus renoviert. Für ihn hat der Kapitän wertvolle Fracht dabei: eine Zementmischmaschine, ein Quad und einen Propangasgrill.
Eine halbe Stunde klappern Adam und die Barkley in Kildonan die Stege ab. Mal wirft die Crew einen Postsack ab, ein anderes Mal paddelt ein Bewohner im Kajak zur Schiffsluke, um Dokumente im Empfang zu nehmen. Schließlich bricht das Postschiff auf und pflügt sich mit 400 Pferdestärken weiter durch den Fjord, bis am Barkley Sound der Pazifik erreicht ist.