Wie stuft der Verfassungsschutz die AfD ein? In einem Jahr mit vielen Wahlen und Protesten gegen die Partei hat diese Frage besondere Brisanz. Jetzt entscheiden die obersten NRW-Verwaltungsrichter.
Ist die AfD ein rechtsextremistischer Verdachtsfall? Und die Jugendorganisation der Partei, die Junge Alternative (JA), auch? Das Verwaltungsgericht in Köln hat diese Beurteilung durch den Nachrichtendienst in der Vorinstanz so bestätigt. Jetzt ist das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) an der Reihe. In einer Berufungsverhandlung klären die obersten NRW-Verwaltungsrichter am 12. und 13. März, ob die Einschätzung des BfV rechtens ist. Weil das Bundesamt seinen Sitz in Köln hat, sind die Gerichte in NRW zuständig.
Für die AfD, die aktuell von Alice Weidel und Tino Chrupalla geleitet wird, kommt der Termin in Münster zur Unzeit. Zwar ist man sich in der Parteispitze sicher, dass eine Niederlage vor dem OVG für die Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen keine große Hypothek darstellen würde. Denn ein Großteil ihrer dortigen Anhängerschaft kauft das Narrativ der AfD, die sich als Opfer eines übergriffigen Staatsapparats inszeniert, der vermeintlich die freie Meinungsäußerung zensieren will.
Vertrauen in Verfassungsschutz im Westen insgesamt größer
Probleme macht das Verfahren der AfD dennoch, weil das viele Menschen im Westen der Bundesrepublik, wo mit der Europawahl am 9. Juni auch ein Urnengang ansteht, anders sehen. Außerdem könnte die Verhandlung die alten Grabenkämpfe zwischen dem immer kleineren Teil der Partei, der auf Mäßigung dringt, und den Radikalen, die eine solche Einschätzung durch den Verfassungsschutz quasi als Auszeichnung begreifen, aufbrechen lassen. Auch einige der rechten Parteien im Ausland, mit denen die AfD im neuen Europaparlament gerne gemeinsame Sache machen würde, dürfte der Ausgang des Verfahrens interessieren.
In Thüringen, wo der AfD-Landeschef Björn Höcke heißt, und in Sachsen werden die jeweiligen Landesverbände der AfD von den dortigen Verfassungsschutzämtern bereits als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet. Die AfD-Brandenburg gilt als Verdachtsfall.
Berge von Akten
Das Mammutverfahren beschäftigt den zuständigen 5. Senat des OVG seit Monaten. Zwar werden die Akten der drei Verfahren heute vollständig digital geführt. Dennoch ist der Umfang riesig. Nach Angaben einer Sprecherin umfassen die Gerichtsakten insgesamt rund 15.000 Seiten. Davon sind etwa 9500 Seiten aus der Berufungsinstanz am OVG. Die Verwaltungsakten des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden von 275 Aktenordnern gehalten und am OVG in einem abgetrennten Raum gelagert. Zur mündlichen Verhandlung werden die Beteiligten jeweils ihre eigenen Kopien mitbringen. So verdreifacht sich die Zahl der im Verhandlungssaal bereitzuhaltenden Aktenberge.
Das NRW-Oberverwaltungsgericht hatte in den 75 Jahren seines Bestehens immer wieder vergleichbare Großverfahren mit gesellschaftspolitischer Brisanz. So wurde zum Schnellen Brüter in Kalkar verhandelt, den Atomkraftwerken Hamm-Uentrop und Würgassen, zum Atomzwischenlager Ahaus, zu Steinkohle-Kraftwerken oder über den Braunkohletagebau Garzweiler, den Flughafen Düsseldorf, zur Beobachtung von Politikern oder auch von Scientology durch den Verfassungsschutz. Wegen der begrenzten räumlichen Möglichkeiten ist das NRW-Oberverwaltungsgericht dann auf Gebäude der Universität, Polizei, Bezirksregierung, die Halle Münsterland, Tagungsräume eines Hotels und auch – wie jetzt im März – auf die Eingangshalle des OVG ausgewichen. Wegen der hohen Zahl an Verfahrensbeteiligten, Zuschauern und 95 angemeldeten Journalisten wird im März wieder in der Halle verhandelt.
Letzte Tatsacheninstanz
Es gebe ausreichend Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD, hatte es zur Begründung in Köln geheißen. Auch im Fall der JA blieb die Klage der Partei im Jahr 2022 ohne Erfolg. In dem seit Jahren andauernden Konflikt zwischen der AfD und dem Bundesamt ist das Oberverwaltungsgericht die letzte Tatsacheninstanz. Das bedeutet: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig als mögliche nächste und letzte Instanz nimmt nur noch eine reine Rechtskontrolle vor. Die Aufklärung des Sachverhalts durch ein Gericht sowie Beweisanträge durch die AfD oder das Bundesamt sind nur bis zum OVG möglich.
Dass sich die AfD gegen die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts juristisch zur Wehr setzt, hat keine aufschiebende Wirkung, was die Beobachtung der Partei angeht. Das heißt, dass der Verfassungsschutz in den vergangenen Monaten bereits unter Verwendung nachrichtendienstlicher Mittel wie Observation und das Anzapfen von Informanten (sogenannte V-Leute) erforschen durfte, um herauszufinden, ob sich der Extremismus-Verdacht erhärtet oder nicht.
Ob und in welchem Umfang das Bundesamt von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, ließ die Bundesregierung in einer Antwort auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion offen. „Die erbetenen Informationen berühren derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass auch das geringfügige Risiko eines Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann, heißt es in der Antwort.