Die Rentenreform der Ampel geht dem Ökonomen Martin Werding nicht weit genug. Damit wecke die Koalition nur Erwartungen, die nicht zu halten seien.
Das Rentenniveau stabil halten und den Anstieg der Beiträge bremsen – das soll das sogenannte Generationenkapital schaffen, der wohl wichtigste Baustein im Reformpaket der Bundesregierung für die gesetzliche Rente. Zwölf Milliarden Euro will die Ampel dafür zunächst an Schulden aufnehmen und am Aktienmarkt investieren. Kann das gutgehen? Und ist das Rentensystem damit gerettet?
Darüber hat t-online mit Martin Werding gesprochen, Rentenexperte und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kurz: Rat der Wirtschaftsweisen. Er hält das Generationenkapital grundsätzlich für einen guten Weg, dem demografischen Wandel zu begegnen, mahnt aber weitere Reformen an.
t-online: Herr Werding, fast zwei Jahre hat die Bundesregierung am Rentenpaket II gearbeitet. Hat sich das Warten gelohnt?
Martin Werding: Nein, nicht wirklich. Das Rentenpaket wurde genauso umgesetzt, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, und schon da war es eine Enttäuschung. Die Ampel versucht, alles so zu lassen, wie es ist. Das Rentenalter soll nicht angetastet werden, die Beiträge sollen in dieser Legislaturperiode nicht über 20 Prozent steigen. Und mit einer Rechtsänderung hält man auch noch das Rentenniveau konstant. Die Koalition verschließt die Augen vor den Problemen.
Werding: Sie tut so, als sei der demografische Wandel verschwunden. Die Lage mag gerade günstig sein, weil sich der Arbeitsmarkt gut entwickelt hat. Aber nur, weil der nächste Sprung beim Beitragssatz in die nächste Legislaturperiode gerutscht ist, heißt das nicht, dass man jetzt nichts mehr tun muss. Da weckt die Ampel Erwartungen, die nicht zu halten sind.
Ich nehme an, Sie meinen das Renteneintrittsalter. Die Erwartung, dass es nicht weiter steigt, wird also enttäuscht werden?
Werding: Wir haben uns die Ursachen für die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rente im Sachverständigenrat gründlich angeschaut. Ein sich verschärfendes Problem, das nicht mehr verschwinden wird, ist die steigende Lebenserwartung. Und da ist es das Mittel der Wahl, die Altersgrenze an die Lebenserwartung zu knüpfen. Viele Länder machen das längst. Und da werden wir auch in Deutschland nicht drumherum kommen.
Muss die Politik hier ehrlicher sein?
Werding: Ja. Sie muss den Leuten klarmachen, dass es um eine Last geht, die wir zu lange ignoriert haben. Ende der 80er Jahre und Anfang der Nullerjahre haben wir es schon mal geschafft, weitreichende Reformen anzustoßen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, das wieder zu tun. Das muss auch gar nicht so schlimm werden. Hubertus Heil redet immer von der Rente mit 70. Die würden wir nach unseren Berechnungen aber erst 2090 erreichen.
Kommen wir zurück zu dem, was jetzt geplant ist. Das Generationenkapital soll den Anstieg des Beitragssatzes abschwächen, das Rentenalter und das Rentenniveau stabil halten. Hat die Ampel die eierlegende Wollmilchsau gefunden?
Werding: Danach klingt es, aber sie hat alles falsch herum aufgezäumt. Ein stabiles Rentenniveau sollte nicht vorgegeben sein, sondern sich aus einer vorausschauenden Rentenpolitik ergeben. Jetzt tragen die jüngeren Arbeitnehmer die Kosten, weil ihre Nettoeinkommen durch höhere Rentenbeiträge sinken werden. Die zehn Milliarden Euro Entnahme, mit der die Bundesregierung pro Jahr aus dem Generationenkapital rechnet, sind – mit Verlaub: nichts. Das reicht nicht, um den Anstieg der Rentenbeiträge zu kompensieren.
Einen größeren Effekt hätte die ursprüngliche FDP-Idee zur Aktienrente gehabt, bei der auch zwei Prozent des Einkommens angelegt worden wären. Wie stehen die Chancen, dass die echte Aktienrente noch kommt?
Werding: Die nächste Chance könnte es schon dieses Jahr geben. Denn die Ampel plant auch Reformen bei der privaten Altersvorsorge. Aus Sicht des Sachverständigenrats wäre es am naheliegendsten, das Modell Riester abzuwickeln und durch ein Standardprodukt zu ersetzen, bei dem auch ein staatlich verwalteter Fonds eine Rolle spielt. Dann hätte man die Kapitaldeckung eben in dieser Säule der Altersvorsorge, das geht auch. In der gesetzlichen Rente wäre aber tatsächlich das FDP-Modell besser gewesen. Dann hätten zwar die Versicherten zahlen müssen, aber eben auch selbst über das Vermögen verfügen können.
Schon für die abgeschwächten Pläne gibt es teils heftige Kritik. Sahra Wagenknecht zum Beispiel spricht von „Casino-Rente“. Auch Sozialverbände sind skeptisch. Ist das Generationenkapital wirklich Zockerei?