Angela Merkels „Großer Zapfenstreich“: ein Abschied im Namen der Rose. Der Nässegrad ihrer Augen veränderte sich leicht, als die Bundeswehr ihren Hildegard-Knef-Musikwunsch „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ spielte, wo es im Textoriginal so schön passend heißt „Ich möchte nicht allein sein und doch frei sein“.
Und natürlich verließ die Noch-Kanzlerin mit einer solchen heruntergeregneten Blume die Szenerie am Berliner Bendlerblock – nach einem Tag neuer, gravierender Corona-Entscheidungen.
Nachmittags hatte sie auf dem Podium neben Nachfolger Olaf Scholz den Journalisten einiges verkündet:
Die Verschärfungen kommen nach einigen Horrorprognosen sowie nach jüngsten Zahlen, die ein Abschwächen der „vierten Welle“ nahelegen. Bayerns PR-Treiber Markus Söder setzt sogar noch einen drauf und erlaubt nur noch Geisterspiele in der Bundesliga.
Angela Merkels letzte öffentliche Rede nach 16 Jahren Dienst struggle im Übrigen eine einzige Danksagung. Sie hätte dabei auch all die Journalisten des Landes erwähnen können, die zum Zapfenstreich nochmal in Pantheon-würdigen Kommentaren Rosenduft versprühten. Am Mittwoch ist Schluss, aber schon jetzt wünscht Angela Merkel uns allen jene „Fröhlichkeit im Herzen“, mit der die Arbeit erwiesenermaßen viel besser läuft.
Man kann nicht sagen, dass die SPD auf dem Weg zu einer Volkspartei mit mehr als 30 Prozent sehr weit gekommen ist. Aber sie hat nun mal bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen bekommen, weil Modell „Armin“ und nicht mehr Modell „Angie“ zur Wahl stand. Und so werden die Sozialdemokraten als neue Kanzlerpartei noch eine ganze Weile für High-Personalien sorgen.
Joachim Nagel, 55, zum Beispiel hat das Parteibuch und ist ausgewiesener, anerkannter Geldpolitiker – was ihn jetzt wohl ins Präsidentenamt der Deutschen Bundesbank bringt. Dort scheidet Jens Weidmann, einst Merkels Sherpa, aus.
Nagel struggle bis 2017 rund 17 Jahre in der Bundesbank tätig gewesen, zuletzt als Vorstand, ehe er zur KfW und dann zur Financial institution für Internationalen Zahlungsausgleich ging. Als neuer SPD-Generalsekretär schließlich ist Kevin Kühnert, 32, ein klassischer Fall von Parteikarriere. Die führt vom linken Eck des Juso-Cooks über die realen Zwänge des Amts am Ende hin zum „Seeheimer Kreis“, wo Minister gemacht werden.
Im Bücherregal fiel mir zufällig ein „alter Schinken“ in die Hand: Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten von Bruno Kreisky, von 1970 bis 1983 Bundeskanzler der Republik Österreich. Man kann sich satt lesen an „Zwischen den Zeiten“, doch dann fällt irgendwann der Blick auf jenes Wachsfigurenkabinett, das zuletzt in Wien große Politik spielte. Da ist der Mann, den sie „Schalli“ nennen: Kurzzeit-Regierungschef Alexander Schallenberg, der vor lauter Gunstbezeugungen und Treuegelübden für seinen Vorgänger Sebastian Kurz kaum zum Regieren kam.
Doch dann entdeckte sein Mentor, bis gestern Partei- und Fraktionschef der konservativen ÖVP, wie böse all die Korruptionsermittlungen und wie herzerweichend doch die Blicke seines gerade geborenen Sohnemanns sind. Sieben Stunden nach Abgang von Kurz resignierte auch Sieben-Wochen-Kanzler „Schalli“, der oberste Prätorianer. Der zweitoberste, Finanzminister Gernot Blümel, folgte sogleich. Wonderboys Welt brach zusammen, nun soll es Innenminister Karl Nehammer richten, wenn es noch etwas zu retten gibt.
Beenden wir den Blick auf die Farce vom politischen Kurzschluss eines Landes einfach mit Kreisky selbst: „Bestochene gibt es nur dort, wo es auch Bestecher gibt. Das ist eine unauflösliche Gemeinschaft.“
Wenn die Inflation dauerhaft schneller wächst als die Wirtschaft, ist das „Stagflation“. Ein Zustand der Lähmung, den es in den 1970er-Jahren gab, damals mit explodierenden Ölpreisen, enormen Lohnsteigerungen und bröckelnder Nachfrage.
Nun gibt es den Omikron-Schock, die deprimierende Erkenntnis, dass es nicht so einfach wird mit einem gewaltigen Aufschwung. Der Aufschwung, der all die Leiden, Einbußen und Verwerfungen aus zwei Jahren Pandemie in einem neuen Wachstumsrausch vergessen macht.
Vielmehr: Die Angst ist zurück, titeln wir in unserem großen Wochenendreport. „Die Lieferengpässe halten an und drosseln auch im Schlussquartal die Industrieproduktion“, sagt Simon Junker, Konjunkturforscher im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Konjunktur hat die Intensivstation noch nicht verlassen, allen politischen Reden vom großen Aufbruch in das neue Land der Klimaneutralität, schnurrenden Amtscomputer und elektro-leisen Fahrzeuge zum Trotz.
„Bayerischer Rundfunk holt Wilhelm“ ist eine Schlagzeile, die neugierig macht. Geht es um Ulrich Wilhelm, 60, der 2010 als Sprecher der Bundesregierung ausgeschieden struggle, um Intendant der ARD-Anstalt in München zu werden? Nun, der gelernte Jurist und Journalist sitzt in Kuratorien, Senaten und Aufsichtsräten (FAZ GmbH) und kümmert sich um Artenvielfalt.
Wer jetzt beim BR aufschlägt, und zwar offensichtlich als Programmdirektor, heißt Björn Wilhelm, 46. Dieser hat zuletzt im Norddeutschen Rundfunk den Programmbereich NDR Fernsehen und Koordination geleitet. Der Rechtswissenschaftler struggle einst auch Journalist für Tageszeitungen und Sat.1. In Bayern ersetzt er den Österreicher Reinhard Scolik, der seinen Vertrag als Programmdirektor Kultur noch im Sommer 2020 verlängert bekam – unter Intendant Wilhelm.
Mein Kulturtipp zum Wochenende: „Nona und ihre Töchter“ auf Arte. In der neunteiligen Serie ist die großartige Miou-Miou in der Hauptrolle einer 70-Jährigen zu sehen, die in diesem nicht ganz ernst zu nehmenden Weihnachtsmärchen im fünften Monat schwanger ist. Geburtstermin natürlich: der 24. Dezember. Frohes Fest additionally.
Hauptsächlich geht es um Leben und Lieben der überzeugten Singlefrau und ihrer durchweg fröhlich-verzweifelten Drillingstöchter, amüsant präsentiert von Regisseurin Valérie Donzelli. Und im Generellen um die Botschaft der 1970er-Jahre, dass Erotik jenseits von #MeToo und Gender-Ernst auch eine besondere Kind von Zeitvertreib sein kann, jedenfalls in Paris.
Und dann ist da noch Daniel Risch, Regierungschef des durch und durch fürstlichen Liechtenstein, in dem ein Unternehmenssteuersatz von 12,5 Prozent gilt. Das liegt unter der globalen Mindeststeuer von 15 Prozent, die Bald-Kanzler Olaf Scholz angestoßen hat – und die Risch hart kritisierte.
Er sehe durchaus den Mehrwert einer globalen Lösung, sagt Risch im Handelsblatt, „aber wir Liechtensteiner sind nun einmal wirtschaftsliberal“. Da führe man die Debatte, wie viel der Staat von den Unternehmen mindestens nehmen sollte, nicht so gern: „Wir könnten ja auch mal über eine Maximalsteuer diskutieren!“
Der Premier aus Vaduz ärgert sich noch, dass manche Staaten den Firmen einfach steuerliche Vergünstigungen böten – das liefe der globalen Mindeststeuer zuwider. Risch: „Sonderregeln darf es nicht geben.“ Etwas respektlos kommentiert Jean Paul: „Der Adel kann uns in allem übertreffen, nur nicht in der Mehrheit.“
Ich wünsche Ihnen ein fürstlich schönes Wochenende.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
Hier können Sie das Morning Briefing abonnieren: