Das neue Gesetz zur Cannabis-Legalisierung argumentiert auch mit Jugendschutz. Doch Fachleute beurteilen das anders.
Im Bundestag wurde am 23. Februar 2024 das Gesetz zur Cannabis-Legalisierung beschlossen. Nun muss der Bundesrat im März noch zustimmen. Am 1. April 2024 wird es dann in Kraft treten. Einer, der darüber nicht glücklich ist, ist Prof. Dr. Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er erklärt, warum er die Legalisierungspolitik für fatal hält – zumindest für Jugendliche.
t-online: Herr Professor Thomasius, am Freitag hat der Bundestag die Teillegalisierung von Cannabis beschlossen. Wie beurteilen Sie die Entscheidung?
Prof. Dr. Rainer Thomasius: Das ist auch für mich ein historischer Moment. Einer, den ich seit zwanzig Jahren zu verhindern versuche.
Ich arbeite seit 38 Jahren hier im UKE mit süchtigen Kindern und Jugendlichen. Die Essenz unserer Arbeit ist: Gefährdeten Jugendlichen hilft nichts so sehr wie eine gelungene Kontrollpolitik. Seit etwa Tabakkonsum nicht mehr beworben und gesellschaftlich als uncool bewertet wird, Rauchverbote durchgesetzt und Tabakautomaten abgebaut wurden, seitdem fangen immer weniger Jugendliche an zu rauchen. Und jetzt machen wir mit Cannabis genau das Gegenteil. Das wertvollste Mittel der Suchtprävention wird über Bord geworfen. Das habe ich als Vertreter der Kinder- und Jugendpsychiaterverbände auch wieder und wieder im Gesundheitsausschuss der Bundesregierung dargestellt. Doch jetzt lässt sich das Unglück nicht mehr abwenden.
Zur Person
Prof. Dr. Rainer Thomasius ist ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Außerdem ist er Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V.
Warum hören die Gesundheitspolitiker nicht auf Ihre Erfahrungen?
Ich muss es politische Ideologie nennen. Die Politik nennt es Freiheit, die Grünen mögen die Bewusstseinserweiterung, die FDP hat sich Steuereinnahmen erhofft – aber an Jugendliche denkt niemand. Eine milliardenschwere Cannabis-Industrie rüstet sich derweil für die Markteroberung in Deutschland.
Was stört Sie am meisten am Gesetzesentwurf?
Er benennt Ziele, die er nie erfüllen wird. Er spricht von Jugendschutz durch Legalisierung, dabei gibt es unzählige Studien, die belegen, dass mit der Legalisierung von Suchtmitteln die Hemmschwelle und Risikowahrnehmung sinkt und der Konsum zunimmt, vor allem der regelmäßige Konsum. Und um den geht es mir, nicht um Jugendliche, die alle vier Wochen mal am Wochenende kiffen.
Die Anzahl der täglich Cannabis konsumierenden Jugendlichen steigt nach einer Legalisierung um 15 bis 20 Prozent an. Sie riskieren fatale Folgen: Psychosen, Angststörungen, verminderte Hirnreifung, Schulversagen, Depressionen, Suizide. Weiterhin soll mit dem neuen Gesetz die Verunreinigung der Cannabis-Produkte vermieden werden. Ich weiß nicht, wie das gelingen soll, wenn jeder Erwachsene seine Pflanzen auf dem eigenen Balkon ziehen darf. Und durch Präventionsmaßnahmen, in erster Linie Aufklärungskampagnen, soll einem gesundheitsgefährdenden Konsum entgegengewirkt werden. Da wissen wir bereits heute: Kampagnen funktionieren nicht im erwünschten Sinne. Wenn Sie mich fragen: Dieses Gesetz etabliert die dritte Volksdroge nach Alkohol und Tabak.
Aber für Jugendliche bleibt der Cannabis-Erwerb doch auch nach der Gesetzesänderung verboten.
Die Markterweiterung erleichtert für Jugendliche die Beschaffung. Die meisten 16- und 17-Jährigen sind mit Leuten in Kontakt, die einige Jahre älter sind. Die Volljährigen holen die Drogen und geben sie an die Minderjährigen weiter. Bei Alkohol funktioniert das genauso.
Welche Folgen hat das für Jugendliche?
Besonders gefährdet sind Jugendliche, die Suchtmittel nutzen, weil sie persönliche Probleme haben. Sie haben vielleicht selbst suchtkranke Eltern, eine niedrige Bildungsumgebung, leben unter Stress oder haben vielleicht schon psychische Auffälligkeiten, leiden an Essstörungen, Depressionen oder ADHS. Sie sind gefährdet, eine Cannabis-Sucht zu entwickeln, und daraus folgen weitere Probleme. Eigentlich müsste diese Gesellschaft alles dafür tun, damit diese Kinder und Jugendlichen nicht süchtig werden oder es nicht bleiben.
Und wir schützen die Jugendlichen nicht?
Nein. Das Cannabis-Gesetz nennt zwar Präventionsmaßnahmen, dabei geht es vorwiegend um Plakatkampagnen oder punktuelle Aufklärung in Schulen, weitere Bundesmittel sind nicht vorgesehen. Die Länder sollen es regeln – aber da herrscht jetzt schon Mangel. Die schulische Suchtprävention müsste sich, eingebettet in ein eigenes Fach zur Gesundheitsförderung, von der Grundschule bis zum Schulabschluss in der Sekundarschule erstrecken. Stattdessen gibt es ab und zu Projekttage. Jugendsuchtberatungsstellen für bereits riskant konsumierende Jugendliche fehlen fern der Großstädte fast vollständig.