Berlin Die Corona-Impfpflicht ist politisch schon umstritten genug. Nun kommt erschwerend hinzu, dass niemand den Vollzug kontrollieren will, sollte tatsächlich ein Gesetz verabschiedet werden. Und bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, die ab Mitte März greift, ist weiter unklar, welche Konsequenzen nicht geimpften Beschäftigten in Pflegeheimen oder Arztpraxen drohen.
Eine allgemeine Impfpflicht von den Krankenkassen kontrollieren zu lassen, halte er „für eine ausgesprochen schlechte Idee“, sagte der Chef der Techniker-Krankenkasse (TK), Jens Baas, auf der Europa-Konferenz von Handelsblatt, „Wirtschaftswoche“, „Tagesspiegel“ und „Zeit“. Dies sei nicht ihre Aufgabe.
Die Kassen hätten früh deutlich gemacht, dass sie gerne die Impfdaten hätten – auch um beispielsweise Auswertungen über Nebenwirkungen machen zu können, sagte Baas. Wenn sie nun aber die Daten für die Durchsetzung der Impfpflicht erheben sollten, hätten sie „eine Artwork Polizeifunktion“.
Dies könne das Vertrauen der Versicherten in die Kassen untergraben. Durchsetzung und Kontrolle einer eventuellen gesetzlichen Impfpflicht wäre „die Aufgabe des Staates“, betonte auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten aus den Reihen von SPD, FDP und Grünen hatte vor Kurzem erste Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie wollen die Krankenkassen verpflichten, von Versicherten Impfnachweise abzufragen und diese zu speichern. Wer sich nicht impfen lassen will, muss mit einem Bußgeld rechnen.
Der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner verweist darauf, dass der Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenkassen „gesetzlich genau fixiert“ sei, und zwar im Sozialgesetzbuch. „Da in dem Gesetz eine solche Kontrollpflicht nicht niedergelegt ist, wäre Voraussetzung für eine solche Aufgabenübertragung eine entsprechende gesetzliche Regelung, zumal damit auch datenschutzrechtliche Aspekte berührt wären“, sagte Brenner dem Handelsblatt.
Damit würde die Sache anders liegen als bei der 2G-Regel im Einzelhandel. Hier hatten Gerichte wie etwa das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt zuletzt klargestellt, dass es zulässig und verhältnismäßig sei, Ladenbetreibern eine Prüfungspflicht der Zugangsberechtigung zu Geschäften aufzuerlegen. Die Wirtschaft hatte hier ebenfalls auf eine staatliche Pflicht gepocht.
Politischen Streit und Rechtsunsicherheit gibt es weiter bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Private in medizinischen und Pflegeeinrichtungen. Ab dem 16. März sollen dort nur noch geimpfte und genesene Beschäftigte arbeiten dürfen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte angekündigt, den Vollzug dieser Impfpflicht in seinem Bundesland zunächst auszusetzen, weil sie in der jetzigen Type nicht umsetzbar sei und nachgebessert werden müsse. Skeptisch äußerten sich die CDU-Ministerpräsidenten im Saarland, Tobias Hans, und in Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) griff Söder scharf an: „Im Rechtsstaat gelten Gesetze“, schrieb er auf Twitter. „Wenn sich die Regierenden selbst aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten und an welche nicht, ist die Tyrannei nicht mehr fern.“ Der Bundesrat hatte der vom Bundestag beschlossenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Dezember einstimmig zugestimmt.
Bundesverfassungsgericht will am Freitag über Impfpflicht-Eilanträge entscheiden
Am Donnerstag kündigte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) nun an, die einrichtungsbezogene Impfpflicht werde kommen, aber sich um ein „paar Wochen“ verschieben, weil viele Fragen noch offen seien. Das Bundesverfassungsgericht will an diesem Freitag über Eilanträge gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht entscheiden.
Kritiker fürchten, dass impfunwillige Pflegekräfte sich aus dem Beruf verabschieden und so der Fachkräftemangel noch verschärft wird. Noch ist aber auch nicht klar, wie mit Beschäftigten verfahren werden soll, die sich einer Impfung verweigern.
Aus Rheinland-Pfalz hieß es dazu auf Anfrage, das Gesundheits- und das Sozialministerium erarbeiteten gemeinsam mit den Kommunen aktuell die konkreten Umsetzungsschritte. Ergebnisse sollen am Montag präsentiert werden. Dagegen teilte die Staatskanzlei in Schleswig-Holstein mit, Bund und Länder befänden sich noch in der Abstimmung über Vollzugsfragen.
Unklar sind aber nicht nur arbeitsrechtliche Fragen, additionally beispielsweise ob nichtgeimpften Beschäftigten die Kündigung droht. Auch die Gesundheitsämter spielen nicht mit. Ihnen müssen Arbeitgeber laut Gesetz nicht geimpfte Beschäftigte melden, die Ämter sollen dann über das weitere Vorgehen entscheiden, additionally beispielsweise ein Tätigkeitsverbot aussprechen.
Wenn man davon ausgehe, dass bis zu zehn Prozent der Beschäftigten keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen könnten, dann drohe den Gesundheitsämtern eine erhebliche Belastung, die sie „nicht zeitnah bewältigen können“, warnte der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Mehr dazu: Krise an drei Fronten: Lauterbach verliert Rückhalt für seinen Kurs in der Pandemie