Einen Mord mit Gift zu begehen, gilt als besonders hinterhältig – denn das Opfer konsumiert das tödliche Gemisch meist unbemerkt. Was steckt hinter dieser Art zu töten?
Jemanden mit Gift zu töten, taugt für den perfekten Mord. Oft werden Giftmorde nur durch Zufall entdeckt – oder gar nicht. Zuletzt in den Schlagzeilen: ein Giftmord in Bielefeld. Selma Y. tötete ihren Ehemann Tufan Y. mithilfe ihres damaligen Geliebten, indem sie ihm einen giftigen Medikamentencocktail in sein Wasserglas mischte.
In Kriminalfilmen und -büchern sind Giftmorde auch deshalb ein beliebtes Thema. So auch heute Abend im ZDF: Der Chauffeur eines Energieministers stirbt an einer vergifteten Praline. Was er nichtsahnend als süßen Snack für zwischendurch betrachtet, kostet ihn sein Leben. Unklar ist zunächst, ob der Giftanschlag wirklich dem Mann galt – klar ist, dass der Mord durch Gift geplant gewesen sein muss. Denn Giftmorde geschehen im Gegensatz zu anderen Tötungsmethoden laut Kriminalpsychologin Lydia Benecke nicht spontan.
„Soll einen Menschen möglichst unauffällig töten“
„Das Vergiften setzt immer einen gewissen Planungsgrad voraus“, sagt die Expertin im Gespräch mit t-online. „Typischerweise plant der Täter genau, wie er vorgeht: Das Gift soll einen Menschen möglichst unauffällig töten.“ So merke das Opfer häufig nicht, dass und wenn ja, durch wen es gezielt getötet werde. Zudem wird, wie im Fall von Tufan Y., nicht immer direkt festgestellt, dass Gift verabreicht wurde – eine besonders hinterhältige Art, zu morden.
Die Mordwaffe Gift findet bereits seit mehreren Hundert Jahren Verwendung. „Interessant ist die historische Entwicklung“, sagt Benecke. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts seien Giftmorde weit verbreitet gewesen. Häufig hätten Frauen Personen in ihrem nahen Umfeld mit Gift getötet, etwa indem sie die tödliche Substanz ins Essen gemischt haben.
„Dies führte dazu, dass Giftmorde bis heute oft als typisch weibliche Verbrechen betrachtet werden“, erklärt die Expertin. Aber seit vielen Jahren begingen insgesamt deutlich mehr Männer als Frauen Giftmorde – was damit zusammenhänge, dass mehr Männer als Frauen weltweit Tötungsdelikte begehen.
Zur Expertin
Lydia Benecke (41) hat Psychologie, Psychopathologie und Forensik studiert. Sie arbeitet in einer Ambulanz für Menschen, die Sexualstraftaten begangen haben, und mit
männlichen Gewaltstraftätern in einer Sozialtherapeutischen Anstalt, einer speziellen Form von Gefängnis. Durch ihre Sachbücher („Auf dünnem Eis – Die Psychologie des Bösen“, „Sadisten: Tödliche Liebe“, „Psychopathinnen – Die Psychologie des weiblichen Bösen“), Podcasts („Melody of Crime“, „Der Fall – Podcast“, „WTF Talk – Wissenschaft trifft Freundschaft“) und andere Medienprojekte vermittelt Benecke Kriminalpsychologie
populärwissenschaftlich einem breiten Publikum.
„Eher selten verwendete Methode“
Doch wenn es um die Wahl der Tötungsmethode geht, greifen Frauen laut Benecke immer noch etwas häufiger auf Gift zurück als Männer. Konkrete Zahlen liegen dazu jedoch nicht vor. Zugleich stellt die Expertin klar: „Gift gehört sowohl bei Tätern als auch bei Täterinnen zu den eher selten verwendeten Methoden.“
Zudem hätten die von Frauen begangenen Giftmorde im Laufe der Zeit abgenommen. Das hat Benecke zufolge seinen Grund: „Früher war es für Frauen sehr schwierig, eine unglückliche Ehe zu beenden und ein eigenständiges Leben aufzubauen, da die Scheidung und finanzielle Unabhängigkeit kaum möglich waren. Seit Frauen sich scheiden lassen können und finanziell besser für sich selbst sorgen können, sind Tötungsdelikte gegenüber Ehemännern und insbesondere Vergiftungen erheblich zurückgegangen.“
Was macht einen Menschen zum Mörder?
Und was macht einen Menschen überhaupt zur Mörderin oder zum Mörder? Laut der Expertin müssen bestimmte „ungünstige Faktoren“ zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammentreffen, damit manche Menschen eine schwere Straftat begehen. Bei anderen wiederum sei die Persönlichkeit stark von Risikoeigenschaften für ein derartiges Handeln geprägt, etwa durch eine verminderte emotionale Empathie oder erhöhte Aggressivität.
„Die Kriminalpsychologie untersucht diese verschiedenen Faktoren und ihre Wechselwirkungen. Dadurch wird jede Straftat letztendlich rational und wissenschaftlich erklärbar, auch wenn eine Erklärung nicht automatisch eine ethische Entschuldigung darstellt“, sagt Benecke. Wenn jemand wisse, dass etwas verboten ist und sich dennoch bewusst dafür entscheidet, sei diese Person dafür verantwortlich, auch wenn sie über Risikoeigenschaften verfügt, die eine solche Entscheidung begünstigten.