Seine letzten Lebenstage musste Alexej Nawalny in Isolationshaft verbringen. Die Strafkolonie „Polarwolf“ gilt als besonders brutal.
Das Straflager liegt in der Region Jamal, weit oberhalb des Polarkreises, in der Stadt Charp. Das Wetter ist harsch, niedrige Temperaturen bis zu –20 Grad sind die Regel. Hier verbrachte Alexej Nawalny seine letzten Wochen, bevor er am Freitag aus bislang ungeklärten Umständen starb. Er sei nach einem Spaziergang zusammengebrochen, Wiederbelebungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt, hieß es von russischer Seite. Seine Unterstützer sprechen von Mord.
Das Lager IK-3, so der Name im Behördenrussisch, wird auch als „Polarwolf“ bezeichnet. Es liegt 3.000 Kilometer nordöstlich von Moskau. Nur eine schmale Straße führt hierhin, etwa 6.000 Menschen wohnen in der Stadt. Neben dem Nawalny-Lager gibt es auch die „Polareule“, ein weiteres Hochsicherheitsgefängnis. Nach einem Bericht der BBC sind nicht nur die äußeren Bedingungen harsch. Insassen würden wegen kleinster Vergehen bestraft – unter anderem müssten sie ohne Winterbekleidung im Freien stehen. Wer umfällt, wird mit kaltem Wasser begossen, bezieht sich die BBC auf Aussagen Gefangener.
Nach dem Schnee kommen die Moskitos
Der Boden ist monatelang von Schnee bedeckt. Taut dieser im Mai, verwandelt er sich in matschige Masse. Diese zieht im Sommer Heerscharen von Moskitos an. Die Häftlinge, heißt es in dem Bericht, müssten sich mit nacktem Oberkörper diesen aussetzen. Wegen der Lage hoch im Norden der Erde sind die Tage lang – und für einige Wochen gibt es keine dunkle Nacht, in der die Häftlinge Schlaf finden können.
Nawalny war seit 2022 fast 300 Tage lang in Einzelhaft, seit Dezember war er in der „Polarwolf“-Kolonie inhaftiert. Dort hatte er nur einmal am Tag Ausgang nahe seiner Zelle, wo er durch den Schnee laufen musste. „3 Schritte breit, 11 Schritte lang“, beschrieb er den Ausgangsbereich auf der Plattform X. Der Blick aus dem Fenster zeigte ihm einen Zaun und kaum Licht. Der arktische Winter ist dunkel. Sein letzter Beitrag auf X vom 14. Februar bezog sich auf eine neue Bestrafung: „Die Jamal-Kolonie hat beschlossen, den Wladimir-Rekord im Verhätscheln und Zufriedenstellen der Moskauer Behörden zu brechen. Sie haben mir gerade eine 15-tägige SHIZO erteilt. Das ist die 4. SHIZO in weniger als 2 Monaten, in denen ich dort bin. Sie sind hart.“ SHIZO ist eine Abkürzung für Isolationshaft.
Teil des sowjetischen Gulag-Systems
Doch selbst die harschen Bedingungen hatten den Kremlkritiker nicht zum Schweigen gebracht. Er reichte Beschwerden über die Haftbedingungen ein, die es ihm ermöglichten, regelmäßig vor Gericht zu erscheinen und Aussagen vor laufender Kamera zu machen. Er versuchte, eine Gewerkschaft für Gefangene zu gründen, um für bessere Arbeitsplätze in Teil des Gulader Näherei des Gefängnisses zu kämpfen.
Das Hochsicherheitsgefängnis, in dem der Kreml Nawalny festhielt, wurde unter Stalin als Teil des Gulag-Netzes der Sowjetunion eingerichtet und ist eines der abgelegensten Gefängnisse in Russland. Die „Polarwolf“-Kolonie ist von Bergen und Tundra umgeben, berichtet der britische „The Guardian“. Im Dezember schilderte der jetzt verstorbene Putin-Gegner seine Eindrücke nach seiner Ankunft. „Ich sage nicht ‚Ho-ho-ho‘, aber ich sage ‚Oh-oh-oh‘, wenn ich aus dem Fenster schaue“, schrieb Nawalny in Anspielung auf die nahezu konstante Dunkelheit draußen und den Ruf des Weihnachtsmannes. „Wo ich sehen kann, ist es Nacht, dann Abend, dann wieder Nacht.“
Kurz nach seiner Ankunft erklärte Nawalny, er leide unter zunehmenden Rückenschmerzen, die er auf seine frühere Inhaftierung zurückführe und die Teil einer Strategie der russischen Behörden seien, seine Gesundheit zu untergraben. In einem Beitrag auf X beklagte er sich auch darüber, dass ihm unbekannte Medikamente injiziert wurden.