Die Deutschen reisen gerne und viel. Doch wie schädlich ist das für unser Klima? Das erklärt der Experte Stefan Gössling im Interview mit t-online.
Übers Wochenende nach London, Rom oder Paris, Ostern auf den Kanaren, Weihnachten in den Alpen und für den Jahresurlaub planen Sie den Roadtrip in den USA: Was nach einem schönen Reisejahr klingt, schadet dem Klima leider mehr, als mancher glaubt.
Wie groß der touristische ökologische Fußabdruck der Deutschen tatsächlich ist, welche Folgen das hat und was Sie dagegen tun können: Darüber hat t-online mit Stefan Gössling gesprochen. Er ist Professor für Tourismus an der Linné-Universität in Schweden und gilt als Experte für das Zusammenspiel von Tourismus und Klimawandel.
t-online: Der deutsche Tourismus zählt zu den umweltschädlichsten der Welt. Wie groß ist unser Fußabdruck wirklich?
Stefan Gössling: Dazu gibt es erstmals genaue Zahlen. Der Tourismus der Deutschen, also unsere Reisen innerhalb Deutschlands und ins Ausland, machen uns zum viertgrößten Emittenten der Welt. Noch größere Emissionen verursachen nur die USA, China und Indien.
Stefan Gössling (*1970) ist Professor für Tourismus an der Linné-Universität in Schweden. Zu seinen Fachgebieten gehören der nachhaltige Tourismus sowie der Einfluss des Klimawandels auf den Tourismus und die Auswirkungen der Luftfahrt auf die Umwelt. Nach seinem Studium der Geografie und Biologie in Deutschland promovierte er in Schweden, später arbeitete er am Forschungszentrum für nachhaltigen Tourismus in Norwegen, bevor er schließlich 2009 die Professur in Schweden annahm.
Was bedeutet das in Zahlen?
Wir haben 2019 – allein im Tourismus – etwa 200 Megatonnen CO2 verursacht. Bezogen auf die Gesamtemissionen Deutschlands – etwa 800 Megatonnen – sind das rund 25 Prozent. Das bedeutet, dass pro Kopf rund zweieinhalb Tonnen CO2 nur auf Reisen entfallen. Das ist aber in etwa das, was insgesamt nachhaltig wäre, für Wohnen, Mobilität, Essen und anderen Konsum. Im Zusammenhang ist auch wichtig, dass die Gesamtemissionen Deutschlands zwischen 2009 und 2019 um 15 Prozent gesunken sind, im Tourismus aber um acht Prozent gestiegen.
Das sind erschreckende Zahlen.
Definitiv. Und es zeigt, wie sehr Deutschland als Reisenation gerade im Bereich des Tourismus proaktiver werden muss. Vor allem, weil die Situation auch technisch nicht zu lösen sein wird.
Welche Art des Reisens verursacht die meisten Emissionen – tatsächlich das Fliegen?
Ja, aber auch da muss man differenzieren: Es ist ein riesiger Unterschied, ob Sie auf die Kanaren fliegen oder nach Australien. Das bedeutet, dass es einen großen Unterschied macht, wie weit man fliegt. Aber es macht auch einen Unterschied, in welcher Klasse Sie fliegen. In der ersten Klasse entstehen fünfmal so viele Emissionen wie in der Economy-Klasse.
Ein Flug auf die Kanarischen Inseln verursacht beispielsweise pro Passagier etwa 1,5 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent. Die jährlichen CO2-Emissionen eines Deutschen liegen derzeit bei rund elf Tonnen pro Jahr. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, dürften es nicht mehr als 2,3 Tonnen pro Jahr sein. Ein Flug auf die Kanaren verbraucht also bereits mehr als 65 Prozent des CO2-Budgets pro Person pro Jahr. (Quelle: WWF)
Einem Gast in der Business- oder First Class wird mehr Raum zugestanden. Der Platz, den sich beispielsweise rund 130 Passagiere in einem A380 im oberen Deck teilen, reicht im unteren Deck für 380 Menschen. Je nach spezifischem Layout können Sie für einen Passagier in der ersten Klasse bis zu 13 Passagiere in der Economyclass transportieren.
Für einen Businessclass-Touristen könnten also mehrere Economy-Passagiere verreisen. Wie kann man daran arbeiten?
Businessclass-Flüge sollten viel stärker besteuert werden. Menschen überall auf der Welt verlieren durch den Klimawandel ihre Lebensgrundlage: Da kann man schlecht damit argumentieren, dass der Sitz in der ersten Klasse eben bequemer ist.
Sie sprechen es schon an: Welche Folgen wird unser Reiseverhalten kurz- und langfristig haben?
Die ersten Folgen sehen wir schon: Die immer größer werdenden Flüchtlingsströme, die sich auch immer stärker nach Deutschland bewegen. Wir sind direkt mitschuldig an diesen Entwicklungen.
Wenn jeder Einzelne mit seinem Reiseverhalten mitschuldig ist, kann dann auch jeder Einzelne etwas gegen die Entwicklung tun?
Damit haben wir schon ein Tabu angeschnitten – bei uns haben Regierungen lange gesagt, der Einzelne muss nichts tun, das System muss sich ändern. Im Flugverkehr haben wir die Situation, dass sich das System nicht schnell genug ändern kann. Wir kommen nicht darum herum, unseren Lebensstil zu überdenken. Da gibt es extreme Unterschiede. Man kann natürlich ausrechnen, wie viel man durch seinen Urlaub zum Klimawandel beiträgt – aber für den Einzelnen ist die intuitive Planung vielleicht einfacher.
Was bedeutet das konkret für unseren Urlaub?
Dazu gehört – leider – die Einsicht: Interkontinentalreisen sind einfach nicht zu rechtfertigen. Die sind nicht nachhaltig und werden es in den kommenden 30 Jahren auch nicht sein. Selbst wenn es nachhaltige Flugtreibstoffe in hinreichender Menge gäbe, ist fraglich, wer diese viel teureren Treibstoffe bezahlt. Fluggesellschaften machen minimale Gewinne und sind stark subventioniert. Da müssten gewaltige Kostensteigerungen an Passagiere weitergegeben werden.