Donald Trump hat mit einer Nato-Aussage in Europa für Entsetzen gesorgt und eine Debatte um EU-Atomwaffen entfacht. Der Politologe Christian Hacke geht einen Schritt weiter – und warnt: Deutschland dürfe sich keine Illusionen machen.
Eine Wahlkampfäußerung von Donald Trump hat gereicht – und Europa denkt über eigene Atomwaffen nach. Der frühere US-Präsident hatte bei einem Auftritt am Wochenende behauptet, er habe dem „Präsidenten eines großen Landes“ einmal gesagt, die USA würden Nato-Staaten nicht beschützen, solange diese nicht genug für ihre Verteidigung zahlen. Er würde Russland „sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“.
Die SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Katarina Barley, brachte daraufhin eigene EU-Atomwaffen ins Spiel – und entfachte damit eine Debatte, die nun die Regierung spaltet. Während Finanzminister Christian Lindner (FDP) sich für eine solche Debatte ausspricht, lehnen Verteidigungsminister Boris Pistorius und Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) diese ab.
Dem deutschen Politikwissenschaftler Christian Hacke geht das nicht weit genug: Er fordert deutsche Atomwaffen. Im t-online-Interview erklärt er die Nachteile eines europäischen Nuklearschirms, woher die Atom-Angst der Deutschen kommt – und erinnert an einen Bundeskanzler, der schon früh für deutsche Kernwaffen kämpfte.
t-online: Herr Hacke, seit Donald Trump die Nato-Beistandspflicht infrage gestellt hat, diskutiert Deutschland über europäische Atomwaffen. Würde ein europäischer Atomschirm Deutschland sicherer oder unsicherer machen?
Christian Hacke: Ganz klar unsicherer. Wir sprechen seit 70 Jahren über eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik. Die Wahrheit ist: Europa ist weit davon entfernt, seine Sicherheit selbst zu garantieren. Ich vertraue lieber auf die Wasserpistolen meiner Enkelkinder als auf die Phantome, die seit Jahrzehnten in europäischen Hauptstädten diskutiert werden. Das gilt für konventionelle Streitkräfte, wie der Wunschtraum von einer europäischen Armee, wie für das Nukleare.
Es gibt mehrere Varianten, wie ein europäischer Atomschirm über Deutschland aussehen könnte. Überzeugt Sie da gar nichts?
Nein. Das sind totgerittene Pferde. Fangen wir mit der Idee an, dass die Briten oder die Franzosen uns mit ihren Kernwaffen schützen sollen. Das ist illusorisch, schon alleine deswegen, weil etwa die Franzosen mit 300 Sprengköpfen viel zu wenig Abschreckungspotenzial besitzen. Jetzt hat Macron die Hand ausgestreckt und kann sich vorstellen, Deutschland zu beteiligen. Frankreich will aber nur seine nationale Abschreckungsfähigkeit mit unserer Hilfe erhöhen.
Wer gibt uns die Garantie, dass die Franzosen uns im Ernstfall schützen werden, vor allem mit Le Pen an der Macht? Denken Sie, die Briten würden ihre eigene Sicherheit für Deutschland aufs Spiel setzen, wenn sie es nicht mal in der EU ausgehalten haben? Wir wären in Europa als nukleare Fremdenlegionäre schlecht beraten.
Und die Idee europäischer Atomwaffen, bei denen Europa gemeinsam die Verantwortung trägt?
Die eine Idee ist ja, dass man von einem wirklich geeinten Europa ausgeht, mit einem europäischen Präsidenten, einem starken Parlament und so weiter, wo die Verantwortung über die Nuklearwaffen bei den EU-Institutionen liegt. Das ist komplett weltfremd und nur für einige akademische Zirkel interessant. Die andere Idee stammt von Herfried Münkler, der vorschlägt, dass die Macht über den roten Knopf in den europäischen Hauptstädten rotiert. Das scheitert ebenfalls an der Realität, weil die Staaten Europas längst nicht so weit sind, ihre nationale Sicherheit in die Hände anderer zu legen. Daher gibt es nur einen Ausweg.
Wir müssen eine eigene atomare Abschreckungsfähigkeit entwickeln. Deutsche Atomwaffen wären friedenswahrend. Das wusste schon der erste deutsche Kanzler der jungen Bundesrepublik, Konrad Adenauer.
Zur Person
Christian Hacke war Professor für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr Hamburg und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind jüngere deutsche Geschichte, deutsche Innen- und Außenpolitik, amerikanische Politik und Geschichte sowie die transatlantischen Beziehungen. Er veröffentlichte u. a. die Bücher „Zur Weltmacht verdammt“ (1997) und „Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder“ (2003).
Wie lautete damals Adenauers Argument für deutsche Atomwaffen?
Es ging einerseits darum, auf Augenhöhe mit den anderen europäischen Ländern zu sein, um Machtpolitik also. Entscheidender war aber seine Skepsis gegenüber den Amerikanern, dass die im Falle eines Angriffs der Sowjetunion Deutschland mit ihren Atomwaffen verteidigen und sich damit selbst in Gefahr bringen würden. Die USA waren damals protektionistisch und isolationistisch, das US-Engagement in der Welt begrenzt. Eine politische Tradition, die bei den „America First“-Republikanern unter Donald Trump ein Revival erlebt. Insofern lässt sich die Situation mit damals vergleichen: Auch heute muss man wieder Zweifel haben, ob Amerika uns beschützen wird.