1978 wurde ein Münchner ermordet. Gut 45 Jahre später sitzt der mutmaßliche Mörder, ein Engländer, als Angeklagter vor dem Landgericht München I.
In München wird am Landgericht I derzeit ein Cold Case verhandelt. Als zweiter Zeuge sagt am Donnerstagmittag der zuständige Kriminalhauptkommissar aus. Der Beamte ist auf Altfälle spezialisiert. 2018 nahm er sich des Falls an und entschied, die offenen Finger- und DNA-Spuren erneut überprüfen zu lassen. Drei Jahre später: ein Treffer bei der Datenbankrecherche. Zwei der drei Fingerabdrücke können einem Engländer zugeordnet werden. Der nun Angeklagte Gary W. ist in England kein Unbekannter. Zwölf Jahre Haftstrafe musste er schon absitzen.
Im April 2023 folgte dann seine Auslieferung. Zuvor saß der Engländer in London zwei Wochen in Haft. Ein weiterer Kriminalbeamter sagt vor Gericht aus, dass er den Angeklagten im April 2023 auf seiner Fahrt vom Münchner Flughafen zur Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim begleitet habe. „Er war von Beginn an ruhig, kooperativ und in sich gekehrt. Er hat das alles so hingenommen“, berichtet der Beamte. Auf der Fahrt auf der A9 zur Rechtsmedizin, einem Stopp vor der JVA, soll der Angeklagte zu ihm gesagt haben: „Hier hat sich aber viel verändert.“ Außerdem erzählte der heute 70-Jährige dem Beamten, dass er in Schwabing und auf dem Oktoberfest gewesen sei.
Wo damals eine Badewanne stand, ist heute eine Dusche
Auch über seine Haft in England sprach Gary W. Es sei so schlimm dort gewesen. Die ersten Tage habe er sich nicht die Zähne putzen dürfen „Er war froh, dass wir ihn überführt haben“, so der Kriminalbeamte. Die Überführung sei ohne Probleme gelaufen, der Zeuge beschreibt den Angeklagten als in sich gekehrt, resigniert und nett. „Wie ein gepflegter, älterer Mann hat er gewirkt“, so der Beamte.
Um sich ein besseres Bild von dem Tatort machen zu können, ließ der Kriminalhauptkommissar zunächst die Fotos des Tatortbefundes (beschreibt insbesondere den Tatort, das Tatobjekt, das Opfer sowie die Spurensuche und Spurensicherung) vergrößern, um in weiterer Folge den Tatort zu besichtigen. „Für mich war es wichtig zu sehen, wie die räumlichen Gegebenheiten sind“, so der Kriminalbeamte. Die heutige Bewohnerin des Appartements sei nicht gerade positiv überrascht von seinem Besuch gewesen. Als der Zeuge dann das Badezimmer, also den Tatort sah, habe er sich gewundert, dass dort mal eine Badewanne eingebaut gewesen sei, da das Bad sehr klein sei.
Fingerabdrücke über Badewanne sind die des Angeklagten
84 Zentimeter über dem Badewannenrand sollen sich damals die Fingerabdrücke befunden haben, die mit dem rechten Zeige- und Ringfinger des Angeklagten übereinstimmen, so der Kriminalhauptkommissar. Hierfür wird auf einer Leinwand im Gerichtssaal ein Grundriss der Wohnung des Opfers sowie Bilder der heutigen Wohnung gezeigt. Das Badezimmer an sich dürfte maximal rund drei Quadratmeter groß sein, schätzt der Beamte. Heute steht dort statt einer Badewanne eine Dusche. „Von der Türschwelle bis zum Waschbecken ist es nur ein Schritt, mehrere Personen haben dort fast keinen Platz“, erklärt der Kriminalhauptkommissar die Gegebenheiten des Badezimmers.
Laut Angaben des Beamten sei das Opfer, ein damals 69-jähriger Rentner, eine sehr ängstliche Person gewesen. Er habe Angst gehabt, umgebracht zu werden, weshalb er immer wieder seine Schlösser austauschen ließ. Dass er homosexuell war, daraus machte er kein Geheimnis. „Fremde Leute, denen er nicht vertraute, ließ er nicht in seine Wohnung“, so der Kriminalhauptkommissar.
Opfer erschien nicht zum verabredeten Treffen am nächsten Tag
Am Abend der Tat war das Opfer eigentlich mit seinem besten Freund verabredet gewesen. Diesem sagte er das Treffen zunächst ab – unter dem Vorwand, dass es ihm nicht gut gehe. Dann erzählte das Opfer seinem besten Freund doch noch von dem abendlichen Treffen mit einem Engländer, den er kurz zuvor kennengelernt habe. Er wolle erst etwas für ihn kochen und dann mit ihm ins Kino gehen.
Für den nächsten Tag war das Opfer mit einer Bekannten verabredet. Als der 69-Jährige jedoch nicht erschien, versuchte eine Bekannte mit einem Schlüssel in seine Wohnung zu gelangen. Doch er passte nicht. Wahrscheinlich hatte das Opfer wieder einmal die Schlösser ausgetauscht. Sie rief die Polizei. Die Beamten fanden die Tür zweimal zugeschlossen vor. Auf Rückfragen der Verteidiger schloss der Kriminalhauptbeamte nicht aus, dass der Täter die Tür von außen zugeschlossen haben könnte. In der Wohnung brannte Licht.