„Schon lange überfällig“ oder „höchste Zeit“, so kommentiert die Handelsblatt-Leserschaft den Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, für die Messung des Wohlstands demnächst nicht mehr nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu betrachten. Bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts kündigte er zuletzt an, über 30 weitere Indikatoren einzubeziehen. Ob es tatsächlich so viele sein müssen, bezweifelt aber der ein oder andere Leser.
Welche Indikatoren nun tatsächlich besser wären, um Wohlstand zu messen, darüber herrscht allerdings auch unter den Handelsblatt-Leserinnen und -Lesern noch keine Einigkeit. Der eine favorisiert den Gini-Koeffizienten, für jemand anderen wäre es wichtig, auch die psychische Gesundheit verschiedener Bevölkerungsgruppen zu betrachten, andere würden den Fokus auf die Schwächsten der Gesellschaft legen, aber auch mehr Umweltschutz und bessere Infrastruktur erachten einige als related. Aus einer Vielzahl an E-Mails haben wir die interessantesten Beiträge hier für Sie zusammengestellt.
Schon lange überfällig
„Neue Indikatoren für die Wohlstandsmessung sind schon lange überfällig. Wie schon Robert Kennedy 1968 wusste: ,The Gross Home Product measures all the things besides that which is worth it.‘ Neben einer neuen Wohlstandsmessung brauchen wir aber auch – neben dem Finanzergebnis – neue Erfolgskriterien für Unternehmen. Ich bin davon überzeugt, dass die sehr einseitige Fokussierung auf die Finanzen eine der Hauptursachen für unsere heutige missliche State of affairs ist. Ein Vorschlag für Indikatoren aus dem Ministerium ist intestine, wir brauchen aber eine breite gesellschaftliche und unternehmerische Akzeptanz.“
Richard Schieferdecker
Umfassende Betrachtung
„Wohlstand lässt sich ebenso wenig ausschließlich an der wirtschaftlichen Leistung einer Volkswirtschaft messen wie das ‚gute Leben‘ eines Menschen ausschließlich an seinem Vermögen.
Natürlich ist die wirtschaftliche Leistung ein wesentlicher Teil des Wohlstands einer Volkswirtschaft – so wie der materielle Wohlstand ein wesentlicher Teil des guten Lebens eines Menschen ist. Aber eben nur ein Teil.
Folgen wir als Volkswirtschaft ausschließlich dem „fairy tail of limitless financial development“ und als Individuum ausschließlich dem Streben nach Materiellem, dann beschädigen wir andere wichtige Bestandteile unseres Wohlstands beziehungsweise Lebens. Daher ist eine umfassende Betrachtung unseres Wohlstands und damit die Einführung alternativer Indikatoren richtig.“
Ralf Kopp
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Wie intestine es auch den Schwächsten der Gesellschaft geht
„Die USA zeigen uns doch auf sehr anschauliche Weise, dass das BIP (auch professional Kopf) alleine kein geeignetes Maß für Wohlstand sein kann. In Kalifornien, in dem viele der höchstbewerteten Hightech-Unternehmen der Welt sitzen, leben unzählige Menschen auf der Straße, und selbst hochbezahlte Angestellte besagter Firmen können sich kaum mehr als eine Einzimmerwohnung leisten. Zig Millionen Amerikaner haben keinerlei medizinische Versorgung, sodass jede ernste Erkrankung zur unmittelbaren finanziellen Bedrohung wird, oder leben von Essensmarken.
Meines Erachtens muss ein Wohlstandsindikator mindestens mitberücksichtigen, wie intestine es auch und gerade den Schwächsten der Gesellschaft geht, nicht nur dem Durchschnitt. Hinzu kommen Infrastruktur, sozialer Friede, Meinungs- und andere Freiheiten und Umweltschutz.“
Roland Stamm
Wir benötigen unbedingt different Wohlstandsindikatoren
„Deutschland battle einst führend in der Volkswirtschaftslehre. Höchste Zeit, dass wieder Neues aus dieser Disziplin die Welt bereichert. Auch wenn vieles, was im Zusammenhang mit einer Neubewertung des Wohlstands zu lesen ist, gar nicht so neu ist. In der Wirtschaft würde man bei den nun genannten alternativen Wohlstandsindikatoren von KPIs (Key Efficiency Indicators) sprechen.
Ja, wir benötigen diese unbedingt. Welche und ob die Genannten schon die Richtigen sind und wie diese gemessen werden, ist zu diskutieren. Der Ansatz ist aber nicht nur sicher richtig, sondern längst überfällig. Richtig angewandt würde ich auf deutliche Verbesserungen der Umweltqualität, im Gesundheitswesen sowie im Bildungswesen und im Bereich Infrastruktur und der Rente/Altersvorsorge hoffen. Um nur einige Baustellen zu nennen.“
Alexander Kachler
Unübersichtlich
„Robert Habeck hat insofern recht, als dass ein reiner Anstieg des BIPs noch lange nichts darüber aussagt, wie der Wohlstand verteilt ist oder unter welchen Arbeitsbedingungen er erwirtschaftet wird. Es erscheint mir jedoch unübersichtlich, die Wohlstandsmessung an dreißig Indikatoren festzumachen. So entfremdet sich das gesellschaftliche Wohlstandsempfinden noch stärker von staatlichen Definitionen und Berechnungen.
Als zielführender würde ich es empfinden, das BIP um den Indikator der Verteilungsgerechtigkeit zu ergänzen. Geschlechterpolitische und ökologische Themen sollten separiert behandelt werden.“
Maximilian Knade
Auch der Gini-Koeffizient sollte eine Rolle spielen
„Ich denke, es sollte auf ein anderes Wertesystem umgestellt werden, nach dem der Wohlstand von Ländern gemessen wird, wie zum Beispiel das von der Worth Balancing Alliance propagierte Modell zur Messung von Wertbeiträgen für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Auch der Gini-Koeffizient sollte in einer Bemessung des Wohlstands eine Rolle spielen.“
Markus Haider
Höchste Zeit
„Es wurde höchste Zeit, dass neben dem BIP auch noch andere Faktoren für die Messung des Wohlstands herangezogen werden. BIP-Wachstum bedeutet letztlich Konsumsteigerung. Ob dieser umwelt- und sozial verträglich battle, blieb dahingestellt. Man kann sich deshalb nun trefflich darüber streiten, welche Indikatoren die richtigen sind. Aber nicht darüber, dass wir weitere Indikatoren brauchen.“
Verena Kaiser
Die psychische Gesundheit
„Aus meiner Sicht gehören zur Wohlstandsmessung auch Maße über die psychische Gesundheit verschiedener Bevölkerungsgruppen wie Beschäftigte in diversen Branchen, Kinder und Jugendliche, Migranten, ältere und hochaltrige Menschen sowie behinderte Menschen unter anderem dazu.“
Jürgen Howe
Daumen hoch, Herr Habeck
„Die von Wirtschaftsminister Habeck erweiterten Parameter, die er als Bestandteile zur Messung unseres Wohlstands heranziehen möchte, treffen den Kern. Zu einer seriösen Wohlstandsmessung gehören zweifelsohne ökologische Effekte, Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten, allgemeine Bildungschancen, Ideenförderung. Wohlstand spiegelt sich letztlich in der Breite unserer Gesellschaft wider, in der Lebensqualität von jedem Einzelnen. Raus aus der Schublade, die Welt mit den Augen von morgen sehen. Daumen hoch, Herr Habeck.“
Marion Bechtold
Kritik am BIP ist schon so alt wie das BIP selbst
„Die Kritik am BIP ist schon so alt wie das BIP selbst. Angefangen bei den Ideen von Simon Kuznets noch vor dem Zweiten Weltkrieg hat es immer wieder, zuletzt 2009 mit der Stieglitz-Sen-Fitoussi-Kommission, den Versuch gegeben, Wohlstand besser zu erfassen. Das liegt an der Komplexität des Phänomens in einer endlichen Welt, in das soziale und individuelle Faktoren hineinspielen. Eine bessere Annäherung an den Wohlstandsbegriff berücksichtigt das, deswegen ist der Vorstoß Habecks absolut begrüßenswert, und ich wünsche mir, dass er (oder ein vergleichbares Konzept) sich weltweit durchsetzt.“
Jan Ovelgönne
>> Lesen Sie auch: Bislang wird Wirtschaft vor allem durch Wachstum gemessen. Wirtschaftsminister Habeck will das radikal ändern und hat dafür gleich 31 Ideen
Wohlstand bemisst sich nicht an der Höhe des Bankkontos
„Wohlstand bemisst sich nicht an der Höhe des Bankkontos, sondern an den erfüllten Erwartungen hilfsbedürftiger Menschen, die mit spürbarer Entsorgung kostenintensiver und überbordender Bürokratie durchaus machbar und dann erlebbar sind. Das ist jedoch nur erreichbar, wenn auf Augenhöhe Kommunikationsdefizite beseitigt werden und eine akzeptierte Vertrauensbasis wieder geschaffen wird, die einhergeht mit Identifikation, Zufriedenheit, Lebensfreude und der Pflege von Ritualen in der Bildung wie ansonsten im Lebensalltag.“
Harald Rasche
Ungleich verteiltes Geld als Wohlstandsziel abschaffen
„Wenn wir unsere Luft in Tüten kaufen müssten, wäre das für das BIP hervorragend, nur nicht für uns. Dinge im Überfluss lassen sich nicht bepreisen, aber ist Überfluss deswegen schlecht? Es wird höchste Zeit, ungleich verteiltes Geld als Wohlstandsziel unserer Gesellschaft abzuschaffen und stattdessen einen Index zu etablieren, der echte Lebensqualität widerspiegelt. Und wenn man trotzdem Vergleichbarkeit haben möchte, orientiert man sich an bestehenden Requirements wie zum Beispiel dem OECD Higher Life Index.“
Folker Scholz
Überfällige Erweiterung des Werkzeugkastens
„Grundsätzlich finde ich persönlich die Aussage von Herrn Habeck vernünftig. Es geht um größere und längerfristige Herausforderungen, die ebenfalls bedacht werden müssen. Wenn zu Beginn des Wirtschaftswunders bereits Überlegungen zum Klimaschutz (die seitens der Wissenschaft u. a. von Klaus Hasselmann, Syukoro Manabe und Giorgio Parisi kamen) nicht ignoriert worden wären, müssten Firmen jetzt nicht Milliarden in neue und nachhaltige Technologien investieren. Die Summe wäre am Ende vermutlich gleich, jedoch wäre die Belastung verteilter.
Breitbandausbau, Ganztagsbetreuung und weitere Punkte kann man meiner Ansicht nach als temporäre Faktoren behandeln. Wichtig im momentanen Werkzeugkasten und Lebenswandel, in Zukunft jedoch eventuell ersetzbar. Insgesamt kann man es als überfällige Erweiterung des Werkzeugkastens betrachten – ob man alle Werkzeuge davon braucht, das zeigt sich mit der Zeit.“
Tobias Engelbracht
Das Rad nicht neu erfinden
„,Das Magische Viereck ist in der Volkswirtschaftslehre ein System von vier wirtschaftspolitischen Staatszielen, die gleichzeitig und im selben Umfang erfüllt werden sollen. Es handelt sich um die Ziele Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum‘ (Zitat Wikipedia).
Ich bin dafür, dieses Konzept beizubehalten und entsprechend zu erweitern. Auch hierzu gab es in der Vergangenheit Vorschläge aus Forschung und Wissenschaft, auch numerous Thinktanks. Man muss das Rad jetzt nicht neu erfinden!“
Ender Erat
Im Russland-Ukraine-Konflikt zeichnet sich noch immer keine Lösung ab. Die Handelsblatt-Leserschaft diskutierte in der vergangenen Woche darüber, wie sich Deutschland und die EU positionieren sollten.
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