Die Grippewelle und strukturelle Probleme belasten Hausärzte in Deutschland. Wie sich das in den Praxen widerspiegelt, erklärt ein Mediziner t-online.
Eine sehr düstere Prognose – aber eine, die niedergelassene Ärzte teilen? t-online hat dazu mit Dr. Christian Köhler gesprochen. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und niedergelassener Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Wiesbaden.
Köhler findet klare Worte für die aktuelle Situation der Hausärzte: „Im Moment haben wir unter Kolleginnen und Kollegen eine hohe Frustration. Das habe ich so in 20 Jahren Niederlassung tatsächlich noch nicht erlebt.“ Aber was sind die genauen Gründe dafür?
Deutsche Arztpraxen: Hohe Infektionszahlen und viel Bürokratie
Zum einen spielt die Arbeitsbelastung eine Rolle. Köhler erklärt, dass eine Grippewelle zu dieser Jahreszeit nichts Außergewöhnliches sei und sich viele Praxen bereits im Vorfeld darauf einstellen. Allerdings seien es in diesem Jahr deutlich mehr Infektionsfälle als sonst, was auch die aktuellen RKI-Zahlen widerspiegeln. Demnach sind für die vergangene Woche bislang knapp 31.600 bestätigte Laborfälle übermittelt worden. 16 Prozent der Betroffenen mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Insgesamt wurden dem RKI seit Oktober rund 102.000 Grippefälle bekannt gegeben.
Zur Person
Dr. med. Christian Köhler ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Manuelle Medizin/Chirotherapie, Notfallmedizin und niedergelassener Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Wiesbaden. Er moderiert und produziert mit den Kollegen Christian Sommerbrodt und Marc Hanefeld den Podcast „Das Arztgespräch“. Der Podcast behandelt aktuelle Herausforderungen im Gesundheitswesen für niedergelassene Kollegen und Kolleginnen und interessierte Menschen aus Sicht derjenigen, die täglich in der Patientenversorgung tätig sind.
Je mehr Menschen erkranken, desto voller sind auch die Praxen. Auch wenn Köhler und seine Kollegen in der Gemeinschaftspraxis viele Patienten-Anliegen telefonisch klären können, gibt es dennoch Patienten, die direkt vorstellig werden müssen. Dazu zählen etwa ältere oder chronisch kranke Menschen. Eine hohe Zahl an Akutpatienten bedeutet aber auch einen deutlich höheren organisatorischen Aufwand für die Praxen und dass sich viele Hausärzte für eine Konsultation nicht so viel Zeit nehmen können, wie sie gerne möchten.
Fällt dann noch Personal aus – etwa aufgrund von Krankheit –, wird es für viele Praxen meistens eng. Neben der Behandlung von Patienten kommen zahlreiche bürokratische Aufgaben, wie beispielsweise Anfragen der Krankenkassen, auf die Ärzte und Mitarbeiter zu.
Demografischer Wandel bedroht Praxen
Köhler erklärt, dass es aber nicht allein die vielen Infektionsfälle sind, die zur Überlastung führen: „Ich glaube nicht, dass Praxen schließen, weil die Infektionswelle sie so überrollt. Es ist ein strukturelles Problem“. Und das ist komplex. So spielt etwa der demografische Wandel eine große Rolle – in zweierlei Hinsicht.
Mit einer alternden Gesellschaft steigt auch der Anteil der Personen, die ärztliche Versorgung benötigen. Hinzu kommt, dass künftig viele ältere Hausärzte in den Ruhestand gehen und es kaum Nachwuchs gibt. „Wir müssen daher die Attraktivität der Niederlassung erhöhen“, so Köhler. Gerade in ländlichen Regionen fehlen immer mehr Hausärzte. „Wenn sich niemand mehr niederlässt, dann geht das zulasten der Patienten, die unsere Hilfe am meisten benötigen.“
Neben dem steigenden Versorgungsdruck gibt es allerdings noch weitere Aspekte, die zur Überlastung der Praxen beitragen – etwa der wirtschaftliche Druck. So wie viele Branchen haben auch Arztpraxen mit gestiegenen Kosten zu kämpfen. Diese Kosten können die Praxen allerdings nicht an die Patienten weitergeben. Dr. Köhler erklärt, in seiner Praxis seien die Kosten in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent gestiegen. Zur gleichen Zeit seien die Honorare aber nur um zehn Prozent gestiegen. Diese Erhöhung decke „nicht einmal die gestiegenen Gesamtkosten ab“, so der Hausarzt.
Digitalisierung führt derzeit kaum zur Entlastung
Und auch die Digitalisierung bringt derzeit noch nicht die gewünschte Entlastung – oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Köhler erklärt, dass die digitale Infrastruktur an vielen Stellen verbesserungsfähig sei. Es gebe zu viele einzelne Komponenten, die fehleranfällig seien. Und „wenn davon eine ausfällt, dann funktioniert das System nicht mehr“. Diese hohe Fehleranfälligkeit sei verantwortlich dafür, dass „diese Dienste keine Akzeptanz finden“, so Köhler.
Trotzdem setzt der Hausarzt Hoffnung in die Digitalisierung: „Die elektronische Patientenakte ist etwas, wovon ich mir viel verspreche.“ Aber: „Sie muss dann auch so gut umgesetzt sein, dass sie nutzbar ist und keine Mehrarbeit macht“. Köhler wünscht sich eine „sinnvolle und benutzerfreundliche Digitalisierung“.